GENERATION RESPEKTLOS: These 2 Es ist eng in der Schweiz
Wann ist eng eng? Für mich
gibt es zwei Arten von Enge. Die geistige und die geographische. Beginnen wir
damit.
Einwohnerzahl
Schweiz Jahr Fläche Schweiz
1‘493‘726 1803 41,277 km²
3‘300‘000 1910 41,277
km²
5‘300‘000 1960 41,277
km²
6‘200‘000 1972 41,277
km²
6‘800’000 1991 41,277
km²
7‘255‘700 2001 41,277
km²
8‘391‘973 2016 41,277
km²
9‘100‘000 2024* 41,277
km²
Die Schweiz wächst.
Zumindest einwohnermässig. Da wir aber schon lange kein kriegerisches Volk mehr
sind, verändert sich die Fläche nicht. Ergo leben auf immer gleichem Raum immer
mehr Menschen.
Fakt
ist: Wir sind ein
kleines Land. Flächenmässig kleiner als die deutschen Bundesländer Bayern oder
Niedersachsen, kleiner als die US-Bundesstaaten West Virginia oder South Carolina.
Wäre die Schweiz eine Insel, sie läge mit dieser Fläche weltweit gerade mal auf
Rang 33, bei den Seen wäre es Position 6. Bei uns leben weniger Leute als in
Jakarta, als in Tadschikistan, Malawi, in Haiti oder auf Kuba.
Klein ist immer auch
relativ. In der Hitparade der Einwohnerzahl liegen wir weltweit auf Rang 95
(bei 238 erfassten Gegenden und Ländern). Bei der Fläche sind wir auf Position
132. Beim Bevölkerungswachstum sind wir gerade noch auf Platz 180 mit 0,2%
Zunahme im Jahr. Pro 1000 Personen kommen in der Schweiz im Jahr noch 9,5
Kinder zur Welt – Platz 202.
Die räumliche Enge in
unserem Land nimmt also zu. Allein in den letzten 20 Jahren hat sich unsere
Bevölkerungszahl massiv erhöht. Da liegen wir im Trend. Pro Sekunde nimmt die
Weltbevölkerung um ca. 2,5 Menschen zu. Die Marke von 6 Milliarden Erdenbürgern
wurde im Jahre 1999 erreicht. Im Jahr 1804 lebten erstmals mehr als eine
Milliarde Menschen auf unserem Planeten. Die zweite Milliarde wurde um 1928
erreicht. 1960 waren wir schon drei Milliarden Menschen Bleibt die Geburtenrate
gleich hoch wie im Moment, werden im Jahr 2050 bereits elf Milliarden Menschen
auf der Erde leben. Momentan wächst die Weltbevölkerung jedes Jahr um ca.
80 Millionen. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl von Deutschland.
Eng wird es also fast überall
auf der Welt. Laut dem eidgenössischen Bundesamt für Statistik BfS wird
auch die Einwohnerzahl in der Schweiz in den nächsten 20 bis 30 Jahren
nochmals massiv zulegen. „Die Kantone im
Einzugsgebiet der Metropole Zürich und im Genferseeraum werden bis 2035 einen
Bevölkerungszuwachs von über 15 Prozent verzeichnen, während die Kantone im
Nordwesten und Südosten der Schweiz Bevölkerungs- mässig nur wenig wachsen
werden. Die Bevölkerung der Kantone Waadt, Freiburg, Aargau, Genf, Obwalden,
Luzern, Thurgau und Zürich wird um 15 bis 25 Prozent zunehmen, während die
Kantone Uri, Jura, Neuenburg, Graubünden, Schaffhausen, Bern und Basel-Stadt
Zuwachsraten von höchstens fünf Prozent verbuchen werden“, meldete das BfS.
Noch etwas konkreter wurde
das Bundesamt für Raumentwicklung, ARE.: „In
der Schweiz gibt es noch Platz für Wachstum“, schrieb die Zeitung „Sonntag“
und sprach mit der die Amts-Direktorin Maria Lezzi Ein Ausschnitt aus diesem
Interview:
„Wie viele Einwohner
erträgt die Schweiz?
Das
ist eine politische Frage, auf die es keine naturwissenschaftliche Antwort
gibt. Theoretisch haben wir noch relativ viel Platz.
Was heisst das konkret?
Die
aktuelle Bauzonenstatistik zeigt, dass heute Baulandreserven für 1,4 bis 2,1
Millionen zusätzliche Einwohner vorhanden sind. Für diese Flächen braucht es
keine Einzonungen, keine Entscheide einer Gemeindeversammlung und keine
Genehmigung durch den Kanton mehr. Diese maximal 2,1 Millionen Einwohner sind
aber ein theoretischer Wert. Es ist ein politischer und gesellschaftlicher
Entscheid, ob wir tatsächlich so viele zusätzliche Einwohner wollen.“
Die Mobilität nimmt zu.
1990 gab es in der Schweiz ungefähr drei Millionen Autos. Im 2012 sind es über
vier Millionen. Macht also pro zwei Einwohner ein Auto. Und das sind wirklich
nur die PKW’s. Zählt man nämlich Busse, Anhänger, Traktoren und Motorräder
hinzu, kommen wir auf die stattliche Zahl von ungefähr 5,7 Millionen Fahrzeugen
die immatrikuliert sind.
War das Automobil einst
noch ein reiner Luxusgegenstand, kann sich unterdessen jeder Depp ein Auto
kaufen. Und wenn es finanziell nicht reicht, rennt man einfach zur nächsten
Leasingbank. Jedes vierte Neuauto wird nicht mehr cash bezahlt sondern
abgestottert. Besonders die Tessiner leasen ihr Auto gern. Dafür spricht auch, dass die Motorfahrzeugdichte im
Tessin mit 606 Autos pro 1000 Einwohnern deutlich höher ist, als in den
Kantonen Zürich oder Basel- Stadt. Dort kommen laut Bundesamt für Statistik auf
1000 Einwohner 482 beziehungsweise 335 Autos.
All diese Fahrzeuge benötigen zusammen
eine Fläche von mehr als viertausend Fussballplätzen.
Viele Fahrzeuge sind oft Stehzeuge, denn wo viele unterwegs sind, staut
es sich auch häufig. Im 2011 wurden auf den Schweizer Autobahnen fast 26
Milliarden Kilometer absolviert. 1990 waren es noch halb so viel.
Problematisch ist die
Stausituation vor allem auf der Nordumfahrung Zürich-Winterthur, wo 2011 an 349
Tagen Staus registriert wurden. Am Gotthard-Südportal wurden an 182 Tagen Staus
gezählt, am Nordportal an 150 Tagen. Aber schieben wir nicht den Autos die
Schuld in die Reifen dafür, dass es eng wird.
Die Bevölkerung wächst.
Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei weiss woran es liegt; an der
Zuwanderung. "Erträgt die Schweiz
mehr als acht Millionen?", fragte der "Sonntag" noch 2011 auf
seiner Internetseite. Drei Viertel der Abstimmungsteilnehmer stimmten mit
"Nein". In einer ähnlichen Umfrage von "20min.ch" wählten
73 Prozent der User die Antwort: "Ich
find's blöd. So hab' ich weniger Platz in der Schweiz." Und bei einer
Online-Abstimmung der "Aargauer Zeitung" gaben 65 Prozent der
Beteiligten an, dass ihnen das Wachstum grosse Angst bereite.
Aber nützt alles nichts. Die
„Mehr-als-8-Millionen-Schweiz“ ist seit Sommer 2012 Tatsache.
Und schon sind wir mitten
drin in den Emotionen und der Polemik. Insbesondere die Politik kocht da ihr
ganz eigenes Süppchen. In der These 3 richte ich dann mein spezifisches Augenmerk auf
die Angstmacher. Doch wir widmen uns schon in diesem Kapitel der SVP. Jede
politische Partei hat so ihre Achillessehne. Die der SVP ist die Doppelmoral
und rollen wir nochmals den sogenannten „Fall Mörgeli“ aus dem Herbst 2012 auf.
Der Nationalrat und
Professor verlor seine Stellung an der Uni und jammerte dann – ausgerechnet er,
der auf seinem Höllrenritt in den politischen Machtzentralen keine verbale
Schlacht ausgelassen hatte – er sei ein Mobbingopfer.
Mobbing?
Hat nicht die SVP sich
jahrelang unermüdlich lustig gemacht über „Mobbingopfer“ und
„Burnout-Betroffene“? Und innert weniger Tage fiel nicht nur Professor Mörgeli
dem Mobbing, sondern auch seine Parteikollegin Natalie Rickli einem Burnout zum
Opfer. Plötzlich galten diese Ausdrücke selbst in der selbsternannten Aufräumerpartei
als salonfähig.
Sich über IV-Bezüger (wie
Mobbingopfer oder Burnout-Betroffene) lustig zu machen und bei erster
Gelegenheit selber zu einem Fall zu werden, ist ein Teil der SVP-Doppelmoral.
Die Volkspartei ist auch
unermüdlich wenn es darum geht, die sogenannten „Schweizer Werte“ zu
verteidigen. Die Neutralität zum Beispiel. SVP-Präsident Toni Brunner im Januar
2007: „Die SVP fordert in einem
Grundsatzpapier die Rückkehr der Schweiz zu ihrer über Jahrhunderte verfolgten
Politik der integralen Neutralität.“
Besonders störend empfinde
ich das Wort „Rückkehr“. Eine Rückkehr zu was? Sollen wir wieder eine Horde
marodierender Bekloppter werden, die Europa einst mit Blut überzogen haben? Da
wird die Schweizer Geschichte vom damaligen SVP-Chef arg gebogen. Nachdem die
Eidgenossen 1515 ihre grösste Niederlage bei der Schlacht von Marignano
erlitten, zogen sie sich zwar aus allen Konflikten zurück, stellten aber
weiterhin Söldner-Kontingente an fremde Mächte. Beim Dreissigjährigen Krieg
(1618-1648) mischten die Bündner fleissig mit und später schloss eine Mehrheit
der Kantone sogenannte „Kapitulations-Verträge“ mit Frankreich ab. Unser
westlicher Nachbar konnte somit weiterhin auf eidgenössische Truppen
zurückgreifen. Von 1798 bis 1814 stand die Schweiz gar unter französischer
Herrschaft, die Neutralität galt da nicht. Erst auf dem Wiener Kongress wurde
1815 die Schweizer Neutralität offiziell auch von anderen Staaten anerkannt.
Wie eine Dauerleier
wiederholt die SVP den Wert der Neutralität
- und verunsichert uns damit bloss. Die Fahne der Neutralität wird viel
zu schnell geschwenkt. Im Frühjahr 2011 engagierte sich die UNO im
Unrechtsstaat Libyen – dessen grössenwahnsinniger Diktator Gaddafi kurz vor
seinem Fall stand. Die Briten schickten einen Konvoi von 20 Fahrzeugen los und
durchquerten auch das UNO-Mitgliedsland Schweiz: „Dieser Vorgang zeigt einmal mehr auf, dass die Mitgliedschaft der
Schweiz in der UNO mit der Neutralität unseres Landes nicht vereinbar ist“,
polterte die SVP sogleich. Lieber einen Diktator im Amt lassen als
Friedenstruppen die Durchfahrt zu gewähren? Oder die SVP redet unser Land bei
Bedarf gerne klein. Eine junge Aargauer SVP-Politikerin schreibt auf ihrer
eigenen Website: “Das Volk hat
demokratisch entschieden, nicht der Europäischen Union beitreten zu wollen,
somit soll das EU-Beitrittsgesuch zurückgezogen werden. Die integrale und
bewaffnete Neutralität bietet nach wie vor die beste Überlebensstrategie für
einen Kleinstaat.“
WANN hat die Schweiz
entschieden, der EU beizutreten?
Ein Bieler Jungspund der
Partei polemisierte: Auch wenn humanitäre
Hilfe und die Verhängung von Sanktionen gegen mordende Diktatoren moralisch
vertretbar sind, müssen wir uns fragen: Sind wir eigentlich (noch) neutral?
Die Liste liesse sich
problemlos weiterführen. Es geht um eine Grundhaltung. Überall gibt es
Konservative und Besitzstandwahrung ist nicht per se etwas Schlechtes. Aber
Werte zu vertreten, die nicht mal von vorgestern sind, verunsichern die
Menschen bloss. Diese „Neutralitäts-Diskussion“ bringt überhaupt nichts.
Ausser, dass wir Angst bekommen.
Eine andere beliebte
SVP-Zielscheibe sind die Ausländer, da wird die Doppelmoral der Partei noch
deutlicher.
Zunächst schauen wir uns
ein politisches Paradox an. Noch 1970 gebar eine Schweizer Frau im Durchschnitt
2,1 Kinder, heute sind es gerade noch 1,4. Wenn das so weitergeht, stirbt die
Schweiz in etwa 300 Jahren aus. Das will die SVP natürlich nicht.
Was tun? Wir „produzieren“
wieder mehr Kinder. Oder wir erhalten uns mit Einwanderung. Etwa 80'000 müssten
jährlich in die Schweiz kommen, damit die Wohnbevölkerung mittelfristig nicht
signifikant abnimmt. Ein Problem übrigens, dass viele Länder im Westen kennen.
Das will die SVP
selbstverständlich auch nicht. Wenn die Volkspartei ehrlich wäre, müsste sie
eine Drei-Kind-Politik in ihr Parteiprogramm aufnehmen, nach dem Motto
„Schweizerinnen, gebärt endlich wieder“ oder „Schweizermänner, an die Pötten“.
Denn die Ausländer haben einen
direkten Einfluss auf unseren Wohlstand. Wie stände es um das Einwandererland
Schweiz ohne Ausländer? Ökonomen haben Bemerkenswertes festgestellt: „Seit Einführung der Personenfreizügigkeit
sei das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Bevölkerung mit jährlich 0,8 Prozent
doppelt so schnell gewachsen wie im vorangegangenen Jahrzehnt. Dieses Wachstum
sei weniger durch die blosse Steigerung des Arbeitseinsatzes als vielmehr durch
eine Erhöhung der Produktivität erzielt worden“, sagt Boris Zürcher,
Direktor des Konjunkturforschungsinstituts BAK Basel. Und seine Zürcher
Kollegen von der Konjunkturforschungsstelle KOF von der ETH Zürich erkannten
gleichzeitig „einen positiven
Wachstumsbeitrag der Personenfreizügigkeit, und zwar von jährlich 0,16
Prozentpunkten für die Periode von 2002 bis 2007.“
Ausländer sind – leider – praktische
Sündenböcke. Ihre Lobby ist klein, und ihre Stimme erheben viele nicht. Vor 40
Jahren stammte etwa ein Sechstel der Menschen nicht aus der Schweiz. Heute ist
es etwa ein Fünftel. Schon vor siebzig Jahren erschallte der fürchterliche Ruf
„Das Boot ist voll“ durchs Land und kostete unzählige hilfesuchenden
Flüchtlingen das Leben. Doch ist es heute besser? Als Zyniker könnte ich sagen,
andere Länder, rauere Töne, sogar die österreichische Innenministerin vergriff
sich vor gar nicht langer Zeit verbal:
„Toleranz ist ein absolutes No-go im Islam". So was kommt einem
Schweizer Minister (noch?) nicht über die Lippen. Aber einem Nationalrat wie
dem rührigen Hans Fehr ohne Probleme: „Hochaktuell
und beängstigend ist insbesondere die Massenzuwanderung, die seit Jahren
in unser Land stattfindet. Zwischen April 2011 und April 2012 sind netto 80‘000
Ausländer zugewandert, 2035 wird 10 Millionen-Grenze überschritten. Die Folgen
sind schon heute gravierend: überfüllte Züge, verstopfte Strassen,
Wohnungsknappheit/höhere Mieten, Kulturland-verknappung, höherer
Energieverbrauch, tiefere Löhne, mehr Arbeitslose, Probleme an vielen Schulen,
mehr Kriminalität.“
Die geistige Enge, die
zunimmt, kriegt durch solche Vereinfachungen Nahrung. Und wenn es um
Statistiken und Zahlen geht, hatte die SVP bekanntermassen noch nie ein
glückliches Händchen. An der Anzahl der Ausländer wird je nach Gusto
geschraubt, Hauptsache es tönt spektakulär, Hans Fehr kommt nämlich zum
Schluss, dass „die Sozialwerke gefährdet
sind“. Warum? „Die 23% Ausländer
beziehen derzeit 44,5% der Arbeitslosengelder, 32,1% der IV-Gelder und
45,7% der Sozialhilfe.“
Plötzlich sind es also nur
noch 23% Ausländer. Dabei schreibt die Volkspartei in ihrem eigenen
Parteiprogramm: „Es halten sich über zwei
Millionen Ausländer in der Schweiz auf, was 27,2 Prozent ausmacht. Ohne die
Masseneinbürgerungen der letzten 25 Jahre wären es sogar 34,3 Prozent.“
Wir werden engstirnig und
hinterhältig, wenn wir beginnen, solche Dinge zu übernehmen, zu glauben und
weiterzuverbreiten. Wir beginnen engstirnig zu werden und verblöden langsam.
Die Menschlichkeit wird auf dem Altar der Kurzfristigkeit geopfert. Wozu? Für
ein paar Wählerprozent. Die SVP ist im Dauerwahlkampf. Das macht die
Volkspartei seit Jahrzehnten schlau und geschickt. Aber ihre Panikmache ist
unsinnig und zerstörend. Damit greift die Law and Order-Partei der Schweiz
genau die Werte an, die sie eigentlich so hoch und heilig verteidigen will. Die
innere Stabilität. So beginnt ein einst hochmotiviertes Land in die geistige
Blödheit abzudriften. Entweder überzeugt von den SVP-Dummheiten oder ermüdet
von der ewigen Wiederholung.
Passen wir also auf, damit die Schweiz
nicht in die Trumpelfalle gerät.
Meine These Nummer 2
lautet: Es ist eng in der Schweiz. Auch diese These purzelt bei näherer
Betrachtung nun zusammen. Ich finde, wir werden weichgekocht, aber ich hoffe,
wir können widerstehen. Frank A. Meyer, Ringier-Chef-Ideologe, bringt es in der
Schweizer Illustrierten schlau auf den Punkt: „Mit den Zuwanderern kommen auch Kriminelle in unser Land, und zwar
ganz oben in der Gesellschaft wie ganz unten. Die einen bringen ihr ergaunertes
Geld auf Schweizer Banken in Sicherheit. Die anderen wandern in unser
Sozialsystem ein. Allerdings gibt es da einen Unterschied: Vor den reichen
Gaunern stehen die Behörden stramm. Die Banker verneigen sich. Und die
Bijoutiers reiben sich die Hände. Gegen die armen Gauner hetzt die
Schweizerische Volkspartei und lenkt damit – ganz gezielt – von den reichen
Gaunern ab. Beide müssen wir bekämpfen“, so Meyer, und weiter:
„Als
ich begann, journalistisch zu arbeiten, galt dieses Unbehagen den Italienern.
Sie waren den Schweizern zu laut, und sie sangen zu viel. Heute erinnern wir
uns voller Nostalgie an die ersten Eissalons, die erste Pizza, das
Spaghetti-Rezept, das uns ein italienischer Freund verriet. Die Italiener haben
unser Leben auf wunderbare Weise verändert – verlebendigt! So wird es uns auch
mit den anderen europäischen Kulturen ergehen.“
Die geistige Enge ist nur
ein Konstrukt in unseren Köpfen. Seien wir doch einfach tolerant und
offenherzig, gehen wir auf Mitmenschen zu, egal ob sie braun oder gelb sind,
egal ob sie Kopftuch tragen. Idioten gibt es überall, nicht nur unter den
Fremden. Denken Sie nur an den Massenmörder Friedrich Leibacher, der am 27.
September 2001 im Zuger Parlament ein Blutbad anrichtete und 14 Menschen und
anschliessend sich selber erschoss.
Im aargauischen Rupperswil
fand die Polizei 2015 vier Leichen in einem angezündeten Haus. Der Mörder war
ein 33jähriger Fussballtrainer aus der Region.
Für Angst und Schrecken
sorgte im Herbst 2010 der von den Medien zum „Amok-Rentner“ stilisierte Peter
Hans Kneubühler, als er in einem Bieler Wohnquartier wild um sich schoss.
1984 erschoss der Chef der
Zürcher Baupolizei vier seiner Untergebenen und verletzte einen Fünften schwer.
Drei Wochen nach der Tat wurde Günter Tschanun verhaftet und zu siebzehn Jahren
Haft verurteilt.
Es gab den grausamen
Babyquäler René Osterwalder, es gab die Mutter, die 1993 in Spreitenbach ihr
Baby verhungern liess, ähnliches ereignete sich 2001 in Genf.
Was ist diesen Leuten
gemein? Leibacher aus Zug, Kneubühler aus Biel, der Aargauer Fussballtrainer,
Tschanun in Zürich, Osterwalder, die nihilistischen Mütter?
Alles Schweizer.
Die SVP kann noch so auf
die Ausländer schlagen, sie noch so verunglimpfen, es nützt alles nichts. Die
Täter sind überall.
Nun zur geografischen
Enge. Die ist nämlich auch nicht wahr. Auch dieses Thema, diese permanente
Dauerbeschallung, fällt bei näherer Betrachtung in sich. Wir sind zwar immer
mehr Menschen auf immer gleichem Raum. Aber bei der Bevölkerungsdichte
erreichen wir trotzdem „nur“ 185 Menschen pro Quadratkilometer. Damit Sie eine
Ahnung von der Grösse eines Quadratkilometers zu erhalten; das ist die Fläche
von 140 Fussballfeldern. Oder wiederum zurückgerechnet: In der Schweiz steht
jedem Menschen ungefähr Dreiviertel eines Fussballfeldes zur Verfügung. So
wenig ist das nicht. Deutschland, Italien, Jamaika, Japan, Belgien oder
Luxemburg – um nur einige Beispielländer zu nennen – haben eine höhere Dichte.
Waren Sie schon einmal auf Malta? Dort trampeln sich fast 1300 Menschen pro
Quadratkilometer auf den Füssen. Eine wahre Stampede, bei uns ist es
diesbezüglich geradezu idyllisch.
Wir können den Blick auch
auf Länder richten, wo die Menschen mehr Platz als bei uns haben.
Aserbeidschan, Marokko, Georgien, Tunesien, Iran, Somalia, Nigeria. Viele
dieser Länder sind sogenannte Krisenherde. Viel Platz bedeutet also nicht
automatisch viel Frieden.
Waren Sie schon mal in
Hong Kong, New York, London, Rio de Janeiro oder nur schon zur Weihnachtszeit
in der Innenstadt von München? Nehmen Sie die stoischen Inder oder die
gutmütigen Japaner, die sich tagtäglich in ihre Züge und U-Bahnen pferchen um
mit einem Quotienten von fünf Menschen pro Quadratmeter zur Arbeit fahren
lassen.
Uns steht heute auch viel
mehr Wohnraum zur Verfügung. In den 1980er Jahren betrug der Wohnflächenbedarf
in der Schweiz pro Person 34 Quadratmeter, im Jahr 2000 waren es bereits 44
Quadratmeter. Ist das eng? Erst kürzlich war ich an einem Apéro, wo sich ein
biederes Mittelstandspaar damit brüstete, demnächst in eine neue Wohnung mit
einem 50-Quadratmeter-Bad zu ziehen.
Apropos Planschen und
Freude am Wasser haben. "Finden wir
2025 noch Platz für unser Handtuch im Schwimmbad“? wollte die deutsche
„Zeit“ wissen und verglich Zürich mit Berlin: „Die Situation sei relativ komfortabel, gab der Bäderchef Entwarnung:
In Berlin würden sich im Durchschnitt 50.000 Personen ein Schwimmbad teilen, in
Zürich seien es lediglich 9000.“
Einen überaus schlauen
Text zum Thema habe ich Online gefunden, ein junger Jurist aus Bern hat sich
intensiv mit dem Thema auseinandersetzt: „Wachstumskritik
gehört neu zu den Standardphrasen von Durchschnittspolitikern jeden Couleurs.
Die Infrastruktur könne das Wachstum nicht mehr bewältigen, die Mieten und
Bodenpreise würden unerträglich, die „Singapurisierung der Schweiz“ müsse
aufgehalten werden denn die absolute Wachstumsgrenze sei erreicht. Doch es geht
in dieser modischen Diskussion nicht eigentlich um Wachstumskritik, sondern
darum, einen Sündenbock aufzubauen. Für die gefühlte Enge im Zug, auf der
Autobahn und bei der Suche nach Wohnungen ist nach der Darstellung der falschen
Wachstumskritiker nicht die explodierende Mobilität der Alteingesessenen
verantwortlich und ihre immer raumgreifenderen Vorstellungen einer angemessenen
Behausung, sondern die Zuwanderung.
Erstens
ist es in der Schweiz nicht eng und zweitens wäre die Ressourcenknappheit
selbst dann, wenn sie tatsächlich akut wäre, nicht von der Zuwanderung zu
verantworten. Zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte war es in der Schweiz enger
als heute. Im späten Mittelalter – auf dem Gebiet der heutigen Schweiz lebten
knapp 800’000 Einwohner – waren nicht nur die zur Verfügung stehenden
Lebensmittel sondern auch der zur Verfügung stehende Lebensraum pro Kopf sehr
knapp. In der Stadt Zürich bestand die Vorschrift, eine Strasse müsse
mindestens so breit sein, dass eine Sau sich umdrehen könne. Das war
eng. Im Jahr 1900, als in der Schweiz rund 3.3 Millionen Menschen lebten,
hätten die Menschen wohl gesagt, die absolute Kapazitätsgrenze des Landes sei
bereits überschritten, was ihnen niemand hätte verübeln können. Denn obwohl
weniger als die Hälfte der heutigen Bevölkerung in der Schweiz lebte, war es
unendlich viel enger. Die Wohnungen waren elend und dunkel, mit rauchigen
Heizungen und ohne fliessendes Wasser. Oft bestanden sie aus einem einzigen
Raum. Mehrere Familienmitglieder mussten in demselben Bett schlafen und dennoch
war die Miete so hoch, dass sie fast das ganze Einkommen
verschlang. Das war eng.
Der
Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung hat im Vergleich zu 1910 (als
ebenfalls weitgehende Personenfreizügigkeit mit den Nachbarstaaten herrschte)
nur um etwa 9 Prozent zugenommen. Das zeigt: Im Vergleich zu den sehr stark
steigenden Ansprüchen der bereits Anwesenden ist das Bevölkerungswachstum durch
Zuwanderung ein vernachlässigbarer Faktor für die Belastung der Ressourcen im
Land. Und: Entscheidend für die Ressourcen, die pro Person zur Verfügung
stehen, ist nicht die absolute Zahl der Einwohner/innen, sondern die Effizienz,
mit der die vorhandenen Ressourcen genutzt werden.
Der
limitierende Faktor für die Grösse der Schweiz ist nicht die Enge des
Lebensraumes, sondern die Enge in den Köpfen.“
Wir konstatieren; unter
den Menschen ist es nicht enger geworden. Die Wohnungen sind grösser und
komfortabler, die Autos luxuriöser und bequemer geworden, das öffentliche
Angebot wird immer besser, der Staat hat sich vom Beamtentum zur
Dienstleistungsgesellschaft entwickelt, wir sind ein international anerkannter
Staat, kaum ein anderes kleines Land hat weltweit ein derart gutes Branding;
Schoggi, Sackmesser, Uhren, Pünktlichkeit sind weiterhin Schweizer Superwerte,
wir klatschen stolz wenn unsere Fussballnationalmannschaft (durchsetzt mit
eingebürgerten Migranten) fussballerische Grossmächte wie Spanien oder
Deutschland schlägt. Tief in unseren Herzen sind wir stolze und tapfere
Eidgenossen und wir haben in unseren Köpfen Wälle aufgebaut, die einer
genaueren Betrachtung gar nicht standhalten können. Die Touristen strömen zu
uns, Bollywood dreht seine Filme in unseren Alpen, das WEF in Davos ist eines
der wichtigsten internationalen Wirtschaftstreffen, die UNO hat ihren
Europahauptsitz in Genf und mit der Bank für internationalen Zahlungsausgleich
haben wir das wichtigste Bankenkontrollorgan mit Sitz in Basel.
Es gibt so viel, auf das
wir stolz sein können – und es tief im Innern wohl auch sind. Warum können wir
es nicht etwas mehr zeigen? Mehr Freude verbreiten? Und nicht stets in der zwar
einfachen, aber auch peinlichen Opferrolle verharren. Was uns gewisse Parteien
und die Medien betreffend der Enge, dem Platzmangel einbläuen wollen, ist
Quatsch.
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