Freitag, 3. März 2017

Was für einen Zweck haben Klassentreffen? Genau; keinen

Verdammt. Jetzt habe ich schon wieder eine Einladung erhalten. Bestimmt die 223. meines Lebens. So oft kann ich doch gar nicht sitzen geblieben sein, dass ich stets so viele Anfragen und Einladungen zu einem Klassentreffen erhalten kann. 
Zweimal bin ich schwach geworden und zweimal habe ich bereut. Bitter bereut. Beim ersten Treffen waren alle Frauen inzwischen verheiratet und die Männer allesamt Treuhänder, Buchhalter oder Controller. Ausnahmslos. Pardon, ich war der Abweichler, der einzige, der einen anderen Weg eingeschlagen hatte und Journalist geworden war. Und was war bloss aus all den schönen Mädchen geworden? Die geile Yvonne hatte mit Mitte 20 schon Krähenfüsse. Naja, kein Wunder, bei bereits vier Kindern. Der lustigen Claudia war das Lachen schon lange vergangen und die hübsche Karin hatte strähniges Haar. Die Gespräche waren genauso öde wie der Weisswein lauwarm war. 
"Ah interessant, was machst Du so als Controller?"
"Spannend, vier Kinder halten Dich bestimmt auf Trab?"
"Echt jetzt, Du bist Vorsitzender im Kleingartenverein?"
Wir trafen uns im alten Klassenzimmer, sogar die Lehrer waren da. Plötzlich sagt man nicht mehr "Herr Baumann" oder "Frau Lüscher", sondern "Hallo Erika" und "Servus Otto". Komisch. Wäre ich Herrn Baumann oder Frau Lüscher auf der Strasse begegnet, im Traum nicht wärs mir in den Sinn gekommen, die mit Vornamen anzureden. Aber hier, in der scheinheiligen Intimität unserer ehemaligen Exerzitien, unserer Grabenkämpfe und Diktatstunden, hier waren wir plötzlich Freunde oder zumindest gute Bekannte. Später wechselten wir in eine nahe Disco, wo der Lärmpegel Gottseidank so hoch war, dass die Zeit der belanglosen Gespräche vorbei zu sein schein. Läge wenigstens jetzt ein flotter Discofox mit der strähnigen Karin drin? Nach ein paar Weissweinen sah ihr Haar gar nicht mehr so schlimm aus, auch wenn ihr Ehering warnend funkelte. Ich verzog mich in der Dunkelheit der Nacht. 
Ein paar Jahre später trafen wir uns im Gartenhaus einer ehemaligen Schulkameradin. Jeder sollte etwas mitbringen, Salat, Grilladen, Dessert. Das Ritual der Belanglosigkeit wiederholte sich, mit dem Unterschied, dass die ersten Frauen bereits geschieden, dafür die meisten Männer unterdessen verheiratet waren. Die geschiedenen Damen waren in ihre alten Bürojobs ("Assistentin im Stahlbau, total interessant") zurückgekehrt, die Herren waren Chefcontroller, Cheftreuhänder, Chefbuchhalter. They same procedure as every year. Diesmal gab es keine Disco, dafür fehlte einer der Lehrer. Otto...pardon Herr Baumann war verstorben. Eine Schweigeminute für Otto...pardon. Auch die hübsche Karin fehlte. Anscheinend lebte sie als Entwicklungshelferin in Namibia. Oder sie hatte Angst vor einer neuerlichen Foxtrott-Avance von mir. 
Das Beste bekommt bekanntlich stets zum Schluss. Die Gastgeberin bat jeden ehemaligen Klassenkameraden vor dem Abschied um eine "finanzielle Beteiligung". Wofür? Ich hatte einen Riesentopf Kartoffelsalat mitgebracht. Und der Topf war leer. Könnte sich also bitte jemand finanziell an den Kartoffeln beteiligen? 
Die Chefbuchhalter und Stahlbau-Assistentinnen holten kommentarlos ihre Portemonnaies hervor, bedankten sich bei der Gastgeberin für den tollen Abend, bezahlten und verschwanden.
Nur um ein paar Jahre später wieder bei mir anzuklopfen. Jetzt ist aber gut, dachte ich und reagierte mal nicht. Ich hatte aber nicht mit der Hartnäckigkeit von Thomas gerechnet. "Ach komm doch, es wird bestimmt nett."
Bei "nett" werde ich sowieso sofort aggressiv. Aber er liess nicht locker und spielte schliesslich sein Trumpf-Ass. "Karin ist zurück aus Namibia. Sie kommt auch."
Na dann....

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Ich liebe die Comedy-Show „Willkommen Österreich“, den kanadischen Sänger Bryan Adams, den besten Eishockeyclub der Welt ZSC, den genialen Schreiber James Lee Burke, die TV-Serie „The Newsroom“, die wunderbaren Städte München, New York und Zürich, Grapefruitsaft, Buddha, Bill Clinton, Enten und saftige Wiesen. Das bin ich. Stefan Del Fabro

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