Dienstag, 28. Februar 2017

Langsame Schweizer, zackige Deutsche: stimmt das Rucki Zucki-Vorurteil?


Es gibt diese legendäre Comedy-Nummer des in der Schweiz weltberühmten Cabarets Rotstift. Vier Männer stehen am Skilift, einer ist ein Deutscher und das einzige was er stets betont, ist die schlechte und mangelhafte Organisation und dass in seiner Heimat stets alles „Ruck zuck zackzack“ gehe. Köstlich. Aber stimmt das? Sind die Deutschen mehr Ruckizucki als wir Schweizer?
Sprachlich sind uns die Deutschen natürlich krass überlegen. Aber kein Wunder. Hochdeutsch ist unsere Sprache nicht. Mühsam erlernen wir diese „fremde“ Sprache in der Schule, die ersten Jahre unseres Lebens haben wir Schwiizertütsch gesprochen. Tatsächlich und in völliger Unkenntnis der Realität haben mir schon viele Deutsche gesagt, ich solle Schwiizertütsch reden, sie würden mich schon verstehen. Für diesen Fall habe ich mir einen Satz bereit gelegt, der jeden noch so sprach-affinen Deutschen in die verbalen Knie zwingt: „Wänn Öpper öppedie Öppis gaat go poschte“. Im besten Fall filtert der Germane noch das Wort „Post“ heraus. Der Rest muss sich für ihn wie eine Mischung aus Türkisch und Holländisch anhören. Der kryptische Satz bedeutet: „Wenn jemand etwas einkaufen geht“. Natürlich ist das sprachlich unelegant, aber perfekt geeignet für den stets wiederkehrenden Moment, wenn ein Alemanne behauptet, er verstünde meine Muttersprache. Weit gefehlt. Der Irrtum basiert auf Emil, einem anderen Schweizer Kabarettisten. Er radebrechte sich mit einem – für uns Schweizer – fürchterlichen Akzent durch die deutsche Fernseh- und Theaterwelt und seither glauben viele Deutsche, Emil hätte Schweizerdeutsch gesprochen und sie verstünden daher unsere Sprache.
Wenn wir von Schweizer- auf Hochdeutsch switchen, müssen wir die Satzstellung ändern und Zeitformen anpassen. Im Schweizerdeutsch gibt es kein Perfekt und kein Futur. Wir benennen die Vergangenheits- oder Zukunftsform verklausuliert. Daher fällt uns der Wechsel ins Hochdeutsche schwer – was für deutsche Ohren putzig und somit verlangsamt tönt, ist für uns rhetorische Schwerstarbeit. Ausserdem müssen wir Wörter anpassen. Der Deutsche „parkt“ sein Auto, wir „parkieren“. Der Deutsche fährt „Rad“ oder „Strassenbahn“, wir „Velo“ oder „Tram“, er wartet auf dem "Bahnsteig" auf den Zug, wir auf dem "Perron", spaziert auf dem "Gehsteig", wir auf dem "Trottoir", trägt "Shirts", wir "Leibchen", hat eine "Geldbörse", wir das "Portemonnaie". Der Deutsche „kriegt noch ein Bier“, wir „würden noch gern ein Bier bestellen“ und warum unser "Necessaire" im Norden "Kulturbeutel" heisst, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Kulturbeutel? 

Deutsche Mühlen mahlen spanisch panisch

Das Vorurteil der ach so langsamen Schweizer ist mir schon so oft begegnet, dass ich nur noch müde lächeln kann. In vielen Dingen sind wir nämlich krass schneller. In der Bürokratie zum Beispiel. Da mahlen die deutschen Mühlen schon fast spanisch panisch. Oder umgekehrt; Rucki Zucki sind nur wir Schweizer.
Am Vortag einer Deutschlandreise wurde mir einst mein Portemonnaie (Brieftasche) mit sämtlichen Kärtchen und Ausweisen inklusive dem Führerschein geklaut. Nur 24 Stunden später war ich bereits mit Ersatzdokumenten ausgerüstet und konnte meine Reise antreten. Meine deutschen Freunde staunten: „Bei uns würde dies Wochen dauern“.
Als meine Partnerin vor Jahren in die Schweiz einreiste, mussten wir mit dem Umzugswagen einen Grenzposten passieren. Im Vorfeld hatte ich alle nötigen Dokumente ausgefüllt und auf dem elektronischen Weg eingereicht. Am Übergang winkte uns der Schweizer Grenzer innert einer (in Zahlen: 1) Minute durch. „Besten Dank für die Zustellung Ihrer Unterlagen. Es ist okay.“
Für die Anmeldung in der Schweiz gingen wir vergeblich aufs Migrationsamt. Der Schalterbeamte schaute uns nur fassungslos an. „Sie haben sich ja bereits beim zuständigen Kreisbüro (Kreisverwaltungsreferat) angemeldet. Alles Weitere kommt automatisch.“ Tatsächlich. Wenige Tage später hatte meine Partnerin die Niederlassungspapiere in der Post. Es braucht also nicht den bürokratischen Slalomlauf, bis alle Dokumente beisammen sind. Fazit; Schweiz Rucki Zucki.
Durch den 57 km langen neuen Gotthard-Tunnel (links)
fahren Züge, am Flughafen Berlin-Brandenburg fahren
noch immer nur die Baumaschinen.
In der Schweizer Basisdemokratie finden regelmässig politische Abstimmungen statt, was auf den ersten Blick den Entscheidungsprozess zu verlangsamen scheint. Den Schnelligkeits-Vergleich mit Deutschland brauchen wir aber nicht zu scheuen. Dem Bau des 57 Kilometer langen Gotthard-Basistunnel ging ein jahrlanger politischer Diskurs voraus. Gekostet hat das Ding über 12 Milliarden Franken. Aber es steht. Ganz im Gegensatz zu so manchem deutschen Prestige-Bau wie dem Flughafen Berlin-Brandenburg oder dem neuen Bahnhof Stuttgart 21. Und ein Schelm wer denkt, dass die Hamburger ihr Supergebäude mit der Elbphilharmonie dann doch noch fertig gebracht haben, könnte am Schweizer Architekturbüro liegen….
Weltweit haftet den Deutschen das Label der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit an. Wenn es um die deutsche Bahn DB geht, kann dies nicht stimmen. Ich bin oft mit dem Zug unterwegs und oft genug stehe ich auf Perrons (Bahngleisen) und warte und warte und warte. In der Schweiz ertönt schon nach zwei Minuten eine entschuldigende Durchsage, auf deutschen Bahnhöfen ist selbst diese minimalste Kundeninformation die Ausnahme.
Im deutschsprachigen Raum ist die Schweizerische Bundesbahn SBB diepünktlichste: Bei der SBB trafen im 2014 96,8 Prozent der Züge pünktlich im Bahnhof ein
bei den Österreichischen Bundesbahnen 96,7 und bei der Deutschen Bahn 94,5 Prozent. Wobei ich letztere Zahl doch arg anzweifle. Sorry DB, aber ich habe schon auf zu vielen Perrons...pardon Bahnsteigen auf einen Deiner Züge gewartet.
Schneller sind die Deutschen auf ihren Autobahnen, wo es auf vielen Abschnitten kein Tempolimit gibt. Wir Schweizer dürfen höchstens mit 120 km/h über die Autobahnen fräsen (fahren). Allerdings sind wir da nicht alleine. Selbst die Amis überschreiten das Limit von 60 bis 70 Miles/h (97 bis 113 km/h) nicht und nur in Utah oder Texas kann mit 80 Miles/h fast schon europäisch – aber nicht Deutsch - gerast werden.

Meine Erkenntnis zum Vorurteil der Langsamkeit; es ist die Sprache, die uns langsamer macht. Vielen Dank Emil 😌. Aber bei vielem anderen sind wir Rucki Zucki. 


Mein Deutschland und ich
Deutschland Deutschland, spürst du mich? Heut' Nacht komm ich über dich - das macht Spaß! Quelle: „Ich will Spass, Markus, 1982“

München ist doof. Das war in den 80ern mein erster Eindruck und daher reihte sich die bayrische Hauptstadt in die Liste meiner M-Orte ein, denn auch Malta, Miami, Mannheim und Martina fand ich zu der Zeit doof. Ich war am Oktoberfest in München. Doof. Im Konzentrationslager Dachau ausserhalb Münchens. Schwere Kost. Beim Fussball im Olympiastadion. Wieder doof. Ich mochte die Weisswürste nicht, das Bier nicht, die omnipräsenten Trachten, die versalzenen Bretzen, mich regte auf, dass ein U-Bahnlinie gleich hiess wie meine Lieblingsband U2. Sakrileg.
Meine Verhältnisse zu München und zu Deutschland haben sich längst entspannt. Unterdessen habe ich mehrere Reisen durchs Land gemacht, viele Städte und Gegenden (Liste unten) gesehen. Meine Partnerin ist Deutsche, meine Grossmutter war Deutsche und ich habe Freunde in Deutschland. Nein, doof ist längstens woanders.

Ich war schon einmal in Aschaffenburg, Baden-Baden, Bad Hersfeld, Bad Waldsee, Berlin, Bingen, Bonn, Bremen, Buchholz, Cochem, Dachau, Darmstadt, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Eisenach, Frankfurt aM, Freiburg, Friedrichshafen, Fulda, Göttingen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Kaiserslautern, Karlsruhe, Koblenz, Köln, Konstanz, Lindau, Lörrach, Mainz, Mannheim, Mönchengladbach, München, Neuwied aR, Nürnberg, Prien, Ravensburg, Regensburg, Rosenheim, Saarbrücken, Singen, Starnberg, Stuttgart, Ulm, Unterhaching, Wanfried, Weimar, Wiesbaden.

Das Thema heute: Vorurteile




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Ich liebe die Comedy-Show „Willkommen Österreich“, den kanadischen Sänger Bryan Adams, den besten Eishockeyclub der Welt ZSC, den genialen Schreiber James Lee Burke, die TV-Serie „The Newsroom“, die wunderbaren Städte München, New York und Zürich, Grapefruitsaft, Buddha, Bill Clinton, Enten und saftige Wiesen. Das bin ich. Stefan Del Fabro

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