Montag, 20. Februar 2017

Fahren Sie mal mit dem Mietauto durch Glarus


Ich bin mit dem Auto schon durch Rom, London, Los Angeles, Stockholm, Las Vegas, Berlin, Dublin, New Orleans, Kopenhagen oder Mailand gefahren. Das sind Städte, die haben teilweise mehr Einwohner als die ganze Schweiz. Mal wurde mehr gehupt, mal gab es weniger Kreisel, aber insgesamt verlief das alles reibungslos. Dann mietete ich im lauschigen Glarus ein Auto …
Glarus? Für alle Nicht-Schweizer: das ist der Hauptort des gleichnamigen Kantons und die Schwiegermütter unter den Kantonshauptstädten. Der Volksmund sagt nichts Nettes über die Gegend. Die Sonne geht wegen der hohen Berge spät auf und früh unter, das Beste an der Region sind Vreni Schneider (ein paarmal Skiweltmeisterin), Salamiwürste und das leckere Elmer Citro, die Schweizer Variante von Sprite.
Trotzdem schaffte ich es, meine Partnerin zu einem Sonntagsausflug zu überreden, Glarus war nur Etappe, Ziel war der Klöntalersee, ein herrlich gelegener Alpsee mit fantastischen Wandermöglichkeiten. Mit dem Zug fuhren wir also in die Schwiegermutter der Hauptstädte, am Bahnhof stand das reservierte Mietauto.
Glarus wirkte traurig und abweisend, ausser uns verliessen nur einige müde Gestalten den Zug und verschwanden sofort in wartende Wagen, die alle mit Heckflügeln oder aufgeklebten Seitenstreifen ausgestattet waren. Wumm Wumm dröhnte es aus den Mantas und kleinen Peugeots. Glarus, the place to go also.
Das fröhlichste war unser knallroter Leihwagen, ich lenkte das Auto vom Bahnhof weg und folgte den Wegweisern. Da erblickten wir einen Brunnen. Perfekt. Für eine Wanderung rund um den See kann man nie genug Wasser dabei haben.
Allerdings lag der Brunnen ungünstig, nämlich auf der andern Strassenseite und eine doppelt ausgezogene Sicherheitslinie warnte uns davor, diese zu überqueren.  
Aber es gab keinen anderen Verkehr. Also bremste ich ab, drehte das Lenkrad ein – und musste abrupt bremsen. Wie aus dem Nichts war auf der Gegenfahrbahn ein Auto aufgetaucht und als ob dessen Fahrer ausgerechnet an der gleichen Stelle – bloss in die andere Himmelsrichtung – abbiegen wollte, blockierten wir uns gegenseitig.
Hinter der Scheibe erblickten wir die wütenden Gesichter eines älteren Ehepaares, beide fuchtelten mit ihren Händen, ihre Münder formten vermutlich keine freundlichen Worte.
Ich setzte zurück und versuchte, das Hindernis zu umfahren. Blitzschnell jedoch fuhr der andere Wagen vor und blockierte uns erneut.
Das konnte kein Zufall mehr sein, das war Absicht. Am Steuer des anderen Autos mussten der Schikane-Sheriff von Glarus und seine Calamity Jane sitzen.
„Was soll denn das?“, rief ich und setzte meine jugendlicheren Reflexe gegenüber dem Seniorenpaar ein. Ruckzuck Rückwärtsgang, Ruckzuck erster Gang, Ruckzuck abgebogen und schon waren wir in der Strasse, wo der Brunnen stand. Ich holte zwei leere PET-Flaschen aus dem Rucksack, öffnete die Autotüre – und erstarrte. Die Sheriffs hatten ebenfalls gestoppt, eine kompakte Frau, gebaut wie ein Kleiderschrank für Gartenzwerge, entstieg dem Wagen und kam – bei diesen Proportionen nicht überraschend – schwankend auf mich zu.
Ich drehte mich zu meiner Partnerin um und sagte ihr: „Sag jetzt bitte kein Wort“, denn ich hatte einen Plan.
Also schnappte ich die Flaschen und machte seelenruhig die wenigen Schritte auf den Brunnen zu.
„He Sie, hallo, so geht das also nicht“, keifte der Wackelschrank nur Sekundenbruchteile später an meinem Ohr. „Sie dürfen da vorne nicht abbiegen.“
Ich tat, als ob die Frau nicht da wäre, füllte meine Fläschchen, aber sie zeterte weiter.
„Das ist verboten, hier einfach abzubiegen.“
Meine Flaschen waren unterdessen voll, ich wandte mich ab. Die Hilfspolizistin drehte sich in meine Richtung und erblickte dann an unserem Mietauto das, worauf ich gehofft hatte und worauf mein spontan ausgedachter Plan beruhte.
Die Schimpftirade der Frau erstarb nämlich, ihr Gesichtsausdruck veränderte sich und mit fast schon besorgtem Unterton fragte sie:
„Verstehen Sie überhaupt was ich sage?“
Natürlich verstand ich jedes Wort, aber ich hatte mit meinem Verhalten auf die Karte „unterdrückte Minderheit“ gesetzt. An unserem Mietauto befand sich nämlich nicht das für die Region übliche Kennzeichen GL (für Glarus), sondern das TI. Und das steht für Ticino, den italienisch-sprachigen Teil der Schweiz.
Also legte ich so viel Italianita in meine Stimme wie ich nur konnte und sagte ein mürrisches „No!!“, ehe ich die Autotür hinter mir schloss und laut prustend los lachen musste. 

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