Mittwoch, 1. Februar 2017

Generation Respektlos




Hat uns die Scheiss-Egalitis im Griff?


Ein Prolog, acht Thesen und zwei Gegenerklärungen
These 1; Das Jammern ist des Schweizers Lust
These 2; Es ist eng in der Schweiz
These 3; Achtung vor den Panikmachern
These 4; Oh Schweiz, was machst Du mit Deinen Kindern?
These 5; Easy – Hammer – fett – krass – Die Sprache verludert. Ist das schlimm?
These 6; Die Wegwerfgesellschaft
These 7; Die Solidarität schwindet
These 8; Es stimmt was nicht im Paradies
Erklärung 1 Worauf wir stolz sein können
Erklärung 2 Diese verflixte kleine Schweiz


Prolog
In der Silvesternacht 2015 wurden am Kölner Haupt-bahnhof hunderte Frauen nach eigenen Angaben ausgeraubt und sexuell belästigt. Wochen später melden sich immer noch weitere Opfer. Die Zahl der Anzeigen stieg auf 652, teilte die Staatsanwaltschaft mit. 331-mal sei dabei ein Sexualdelikt angezeigt worden.
Quelle: Die Zeit




Welche Werte halten Sie, halte ich für wesentlich? Ich meine: es müssen Werte sein, die etwas mit dem menschlichen Miteinander zu tun haben, denn was nach allen Untersuchungen am tiefsten und nachhaltigsten zum Glück des Menschen beiträgt ausser einer sinnvollen Aufgabe, sind harmonische und innige menschliche Beziehungen. Lebensqualität ist Beziehungsqualität. Und egal ob es sich um Familienbande oder Freundschaften handelt, immer sind es ganz bestimmte Werte, die in solchen Beziehungen gelebt werden müssen, damit diese langfristig haltbar und bereichernd sind.
Dr. theol., Diplompsychologin
Tübingen, Deutschland


Was ist eigentlich aus der guten, alten Kinderstube geworden? Was ist mit Werten wie Anstand, Fürsorge, Toleranz, Respekt, Solidarität, Verständnis oder Rücksicht passiert? Ist es mein subjektives Empfinden, dass diese Werte verschwinden und nicht adäquat ersetzt werden? Was ich sehr bedauere. Oder gibt es objektive Hinweise und Erkenntnisse? Diesen Fragen gehe ich nach. Sie beschäftigen mich. Als Mensch, Journalist, Freund, Bürger, Wähler.
Vermutlich bin ich ein fürchterlicher Romantiker und jeder halbwegs überzeugte Darwinist mag mir widersprechen aber ich glaube ans Gute im Menschen. Tief in seinem Innern ist der Mensch ein gütiges, freundliches Wesen. Und mir begegnen immer wieder tolle, grossartige Frauen und Männer, die einen beachtlichen Leistungsausweis haben, die ihr Leben in vollen Zügen leben, Kinder haben, Firmen führen, sportliche Erfolge feiern, fantastische Konzerte geben, Wohltätigkeits-Veranstaltungen unterstützen und Freiwilligenarbeit leisten.

Wunder geschehn, ich hab’s gesehen, Nena

Dann richtete ich meinen Blick weg vom Mikro- in den Makro-Kosmos. Und erschrak. Im Alltag wird geflucht, gejammert, geschimpft, die Rücksicht schwindet, die Ellbogengesellschaft rammt sich ihren Weg unerbittlich auf Kosten der Schwächeren, die Schere zwischen den Armen und Reichen, zwischen den Starken und Schwachen klafft auf. Wollten in den 1980er Jahren die Linken noch Wurstsalat aus dem Staat machen, so plädieren heute die Reichen für die Abschaffung desselben  - und Steuern bezahlen wollen sie auch nicht mehr.

An jeder 1. August-Rede wird zu mehr „Zusammenhalt“ aufgerufen, jede Street-Parade mit ihren hunderttausenden Teilnehmenden hat ein Motto wie „Follow your heart“ oder „Respect“, an jeder Weihnacht vereinen wir uns mit unseren Familien zum Fest der Liebe. Doch die restlichen 360 Tage rasen wir wie ein wild gewordenes Wolfsrudel auf der Suche nach dem nächsten lahmen Schaf durch unser Leben,. Was ist los? Warum steht heute in einem Bus oder einem Tram kaum mehr jemand auf, wenn eine wacklige Seniorin einsteigt? Wieso müssen junge Mütter ihre Kinderwagen über Schwellen wuchten und in Züge bugsieren, ohne dass jemand hilft? Es geschieht sogar mehr und mehr das Gegenteil. Man steht daneben, ärgert sich über die langsame Oma, schimpft über die umständliche Frau mit dem Kinderwagen, nur um sich dann schnell vorzudrängen um hurtig den letzten freien Platz zu schnappen. Und womöglich noch frech zu grinsen.
Überhaupt, der öffentliche Verkehr. im Zürcher „Tages-Anzeiger“ im Januar 2009 beobachtete eine Schwangere die „Kampfzone der Kinderwagen“. Es gebe Linien, „dort kommt es manchmal zu gehässigen Szenen unter den Müttern“.  Wie geht’s der Frau bloss heute, wo ihr Kind geboren ist und sie in den ganz normalen Anti-Eltern-Wahnsinn eingebunden ist?
Die werdende Mutter stellte zudem fast, dass selbst unter den Frauen keine Solidarität mehr, sondern eher ein Konkurrenzkampf wie bei der Parkplatzsuche fürs Auto bestehe. Dieser Zeitungsartikel hat fast 200 Kommentare ausgelöst. „Soll ich mich mit meinen zwei Kids zuhause verschanzen? Eure teils sehr kinderunfreundlichen Kommentare machen mich wütend und traurig! Auch ich ziehe ein halbleeres Tram einem überfüllten vor. Doch manchmal gehts nicht anders. Und zur Freude drängt sich kein Mami zu Stosszeiten in den ÖV“, beklagte sich eine Mutter.

An den Wochenenden sind die gemeingefährlichen Kampfwanderer unterwegs. Sie stürmen die Züge mit ihren gefährlichen Stöcken, schlagen einem ihre Rucksäcke um die Ohren. Die Horde Jungsoldaten grölt Kampflieder, die Teeniebande hört lautstark Musik auf ihren mobilen Geräten – der öffentliche Verkehr wird zur öffentlichen Kampfzone.
So ein Schnappschirm ist was Praktisches. Kaum fallen die ersten Tropfen – schnapp und mit einem Fingerdruck öffnet sich der Schirm. Egal, ob der Schirmträger gerade aus einem Zug oder Bus steigt. Ganz nach dem Motto „Weg da, es regnet“, schnappt der Schirm auf und schwuppt mir eine unangenehme nasse Ladung entgegen.
Hässlich auch, was auf dem Asphalt passiert. Auf unserem eidgenössischen Strassennetz, das eine Gesamtlänge von 71'000 Kilometern hat, rast die Armee der Stinkefinger. Wo haben die Menschen das gelernt? Gibt es eine Ausbildung im obszönen Verhalten? Es wird gedrängelt, rechts überholt, Licht gehupt, Parkplätze werden weggeschnappt. Auf der Autobahn wird tödlich nah aufgefahren. Velofahrer gehen auf Autofahrer los, Autofahrer gehen auf Fussgänger los, Fussgänger gehen auf Töfffahrer los.
2011 kam es auf Schweizer Strassen zu insgesamt 18'990 Unfällen mit Personenschaden. Dabei wurden 320 Menschen getötet sowie 4437 schwer und 18'805 leicht verletzt. Somit starb im Strassenverkehr durchschnittlich fast jeden Tag eine Person. 
Tödliche Unfälle von Fussgängern auf Fussgängerstreifen häufen sich. 2011 starben ein Viertel mehr Leute beim legalen Überqueren einer Strasse als noch im Jahr zuvor. Schuld sind – die Fussgänger selber! So sehen es auf jeden Fall viele Autofahrer: „Fussgänger laufen wie freie Hühner einfach auf die Strasse ohne auf den Verkehr zu achten oder nach links zu schauen“, enervierte sich auf 20 Minuten Online ein Leser. Und ein Fahrlehrer namens Andy schilderte, wie er täglich erlebe, wie Eltern „zehn Meter neben Fussgängerstreifen“ über die Strasse rennen. „Ihr lieben Fussgänger habt wohl vergessen, wie es früher hiess: ‹warte, luege, lose, laufe>“. Natürlich teilen die Fussgänger genauso polemisch zurück: Für einen andern Leser liegt das Problem ebenfalls bei den Autofahrern, welche die Fussgänger schlicht ignorieren würden. „Es lässt doch kaum ein Autofahrer die Fussgänger über die Strasse, es sei denn man stellt sich provokativ auf die Strasse.“

Fazit im Strassenverkehr: Schuld sind immer die anderen.

Es wird emsig gehupt auf unseren Strassen. Ja, in Rom oder Athen hupen sie mehr. Südländisches Temperament halt. Aber fahren Sie mal durch eine der grossen deutschen Städte. In einer Schweizer Stadt kommen Sie locker auf einen Quotienten von fünf bis zehn HuSt (Hup/Stunde). Ich wette, Sie werden in München oder Hamburg weniger häufig angehupt, wenn Sie nicht innert einer Zehntelsekunde am Lichtsignal los fahren.

Faustregel; verlassen Sie bloss nie ihren geographischen Dunstkreis. Aargauer werden in Zürich ausgehupt, Appenzeller in St. Gallen, Baselländler in Basel Stadt,  Zürcher sowieso überall und Ausländer können schon gar nicht Auto fahren.
Ich fuhr neulich mit einem Mietauto mit Tessiner Kennzeichen durch das hübsch gelegene Glarus, Hauptort des gleichnamigen Kleinkanton. Dummerweise bog ich falsch ab, was sofort einen Kleinstadt-Sheriff mobilisierte. Ein anderer Autofahrer – selbstverständlich mit dem für den Ort korrekten Kennzeichen GL – winkte mir hektisch zu. Als ich stoppte, liess die Beifahrerin die Scheibe runter und begann mich ohne weitere Vorwarnung sofort anzukeifen. Hier sei abbiegen verboten, was mir einfiele und nach einem Blick auf mein Tessiner Autoschild fragte sie, ob ich sie überhaupt verstehe. „No“ war meine Antwort.

Das schweizerische Autobahnnetz geht auf den 21. Juni 1960 zurück. Damals wurde ein Bundesbeschluss erlassen, der den Bau einer nationalen Autobahn vorsah. Auf tausend Einwohner kamen etwa zweihundert Fahrzeuge. Heute hat sich diese Zahl verdreifacht. Und gleichzeitig hat sich die Verkehrsleistung im Individualverkehr von damals 18'600 auf 88'500 Millionen Personenkilometer erhöht. Das ist eine Verfünffachung. Wegen Verkehrsüberlastung steht der Verkehr auf den Autobahnen während mehr als 7500 Stunden pro Jahr still.

Der Aargauer SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner ist schon von Berufes wegen oft unterwegs – er ist Transportunternehmer: „Rasend machen mich Lenker, welche wegen Lappalien den Stinkefinger zeigen oder andauernd den Kopf schütteln. Mein Geheimrezept für einen flüssigen Verkehrstag ist ein simples Lächeln.“ 


Lächeln im Strassenverkehr? Vielleicht gar kein so schlechter Ansatz.

Einem wütend gewordenen Taxifahrer streckte ein anderer Autofahrer die Zunge heraus. Was natürlich auch nicht ein Akt von ausgeprägter Freundlichkeit, aber allemal besser als der aggressive Vogel oder der obszöne Stinkefinger ist.
Die Mobilität nimmt sowieso langsam überbordende Züge an. Wir sind permanent unterwegs. Durchschnittlich 36,7 Kilometer legte 2010 jeder Einwohner der Schweiz zurück. Und zwar jeden Tag! Dies entspricht einer Zunahme von 1,5 Kilometern oder 4,1% seit dem Jahre 2005. Die tägliche Unterwegszeit pro Person belief sich im Jahre 2010 auf 83,4 Minuten. Werden die Warte- und Umsteigezeiten mitberücksichtigt, sind es gar 91,7 Minuten.
Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Gerangel an der Migroskasse, im Kino, auf der Skipiste. Wo früher bloss eine paar tapfere Wanderer einsame Bergwege entlang gingen, rasen heute auch die Downhiller. Auf dem Trottoir – das französische Wort Trottoir basiert auf dem Verb trotter (zu deutsch = trotten) und dem Suffix oir (von lateinisch Orium, der Ort, wo etwas stattfindet), ein Trottoir ist also ein Ort, wo getrottet werden sollte – wird längstens nicht mehr nur getrottet. Fahrräder sind unterwegs, Blader, Skater. Die „Weltwoche“ nahm die Velofahrer im Sommer 2012 ins Visier: „Autoraser ziehen eine enorme öffentliche Empörung auf sich. Zu Recht.
Beinahe unbeachtet gedeiht in ihrem Schatten ein kleines Sekundärraubtier. Die Rede ist von der Spezies des gemeinen Velorasers. Ampeln ignoriert dieser prinzipiell, wenn er durch die Stadt jagt. Um Verbotsschilder foutiert er sich. Und immer häufiger sucht er Trottoirs heim.“ 

Man wird von Taxis übersehen. Aber wenn man mal drin ist, wird’s auch nicht besser. Entweder quasselt einem der Fahrer voll und jammert – wechselweise – über die bösen Kroaten, Bosnier, Albaner, Türken, Muslime, Juden, Araber und schimpft neuerdings über Uber oder, was leider längstens und traurigerweise fast schon Standard ist; der Chauffeur hat kaum eine Ahnung, wo das Ziel ist und wenn er’s kennt, ist’s ihm meistens sowieso zu wenig weit, sprich zu wenig lukrativ.
Apropos Kohle, es geht ins Geld: Zürcher Taxis sind die teuersten der Welt. Selbst in Supercities wie Hongkong, New York oder London fährt man billiger Taxi. Hinter Zürich folgende übrigens Oslo, Monaco, Amsterdam und Helsinki. Das hat der amerikanische Vergleichsdienst „Price of Travel“ bei einem Quervergleich in 72 Städten berechnete.

Gratis, dafür komplett überflüssig, wenn nicht sogar gefährlich sind die sogenannten Mama-Taxis. Ein aus den USA bekanntes Phänomen, das auf den Rest der Welt übergreift und auch bei uns zum Problem wird. Anstatt ihre Sprösslinge auf dem Fussweg in den Kindergarten oder die Schule zu schicken, bringen viele Mütter ihre Kleinen mit dem Auto hin. Ihr Hauptargument; wegen der vielen Autos sei es auf den Strassen zu gefährlich. Dass die Mamas mit ihren Fahrten von und zum Kindergarten an der Schraube des Mehrverkehrs mitschrauben, scheint ihnen zu entgehen. Die Mama-Taxis werden selber zur Gefahr für die Kinder, wie das „St. Galler Tagblatt“ im Frühjahr 2012 meldete:
„Dafür werde oft an der Strasse oder sogar auf dem Gehsteig, direkt vor dem Kindergarten, angehalten. «Dies stellt für die Kinder auf dem Kindergarten- und Schulweg eine Gefahr dar, weil für die Kinder und Lenker von passierenden Fahrzeugen die Sicht verdeckt oder der Gehsteig verschmälert wird», warnte die Leitung der Schule im ostschweizerischen Degersheim.“ 
Gleichzeitig wundern und empören wir uns, wenn wir lesen, dass „jedes fünfte Kind zu viele Kilo auf die Waage bringt, sieben Prozent der Kinder sind sogar krankhaft übergewichtig.“ Laut einer Schulleiterin aus Saanen (bei Gstaad) seien dafür auch die Mama-Taxis verantwortlich: „Die elterlichen Transportdienste sind «stets ein Problem. Der Verkehr werde dadurch unnötig vergrössert, die Schülerinnen und Schüler würden der Erfahrung des Schulwegs beraubt und es mangle an wichtiger Bewegung“, sagte die Pädagogin im Herbst 2009 der „Baslerzeitung“.
Auch das Bundesamt für Gesundheit stellte fest, dass  „Übergewicht habe in der Schweiz in den letzten 10 Jahren in der Bevölkerung stark zugenommen, besonders bei den Kindern. Es ist, wie auch im übrigen Teilen Europas, ein ernst zu nehmendes Problem.“

Jeder zweite ist zu dick. Bundesamt für Gesundheit.

Über ein Drittel der Schweizer Bevölkerung gilt als „zu dick“. Das ging 2002 aus der Schweizerischen Gesundheitsbefragung hervor. Neun Jahre später war es sogar noch schlimmer. „53 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist zu dick. Dies belegen neue Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG)“, schrieb die „Sonntagszeitung“ im November 2011. Das kommt uns teuer zu stehen. Die von Übergewicht und Adipositas und deren Anteil an Folgekrankheiten insgesamt verursachten Kosten in der Schweiz wurden in einer Studie des Bundesamtes für Gesundheit auf 2,1 bis zu 3,2 Milliarden Franken pro Jahr berechnet. Das war 2004. Der Bericht in der „Sonntagszeitung“ löste 2011 das nächste Wehklagen aus. „Wann hört die widerwärtige, an Rassismus erinnernde Hetze gegen Dicke endlich auf? Da wird Menschen unnötig ein schlechtes Gewissen eingeredet. Dieser gesellschaftliche Zwang zum Abnehmen ist es, der die Menschen in Tat und Wahrheit krank macht“, klagte ein Leser in einem Online-Kommentar. Das ist Vogel Strauss. Augen zu – und weiter fressen.

Zum Glück gibt es Gesetze, die den Hundebesitzern vorschreiben die Kacke ihrer Vierbeiner aufnehmen zu müssen. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie es auf unseren Trottoirs ohne diese Regelung aussehen würde.

Als das nationale Rauchverbot für die Gastronomie eingeführt wurde, waren nicht nur Wirte und Beizer, sondern vor allem auch die Raucher ganz gross im Jammern. Dafür paffen sie uns nun in den warmen Monaten hemmungslos in den Gartenbeizen um die Ohren oder sie qualmen auch sonst an jeder öffentlichen Ecke. Was geschieht mit einer ausgerauchten Zigarette? Sie fliegt auf die Strasse. Das achtlose Wegwerfen und liegen lassen von Abfall auf öffentlichem Grund kann in einigen Schweizer Gemeinden sogar mit Gefängnis geahndet werden. Weggeworfen werden in der Regel kleinere Gegenstände. Eine europaweite Studie aus dem Jahr 2003 kam zum Ergebnis, dass in den Städten Zigarettenstummel mit 58,3 % die am meisten weg-geworfenen Gegenstände sind. An zweiter Stelle folgen Kunststoffe (11,6 %), danach organische Abfälle (9,8 %), Papier und Karton (8,8 %), Glas (7,3 %), Verpackungen (5,8 %) und schließlich Metall (3,9 %).

In der Schweiz sehen beinahe zwei Drittel aller Gemeinden Vermüllung als Problem an. Als Hauptursache für die zunehmende Vermüllung werden veränderte Konsum-gewohnheiten und ein generell nachlässigerer Umgang mit öffentlichem Eigentum aufgrund sozialer Desintegration oder mangels sozialer Kontrolle gesehen.
Apropos Rauchen. Was glauben Sie, wo wird mehr geraucht? Im Macho-Land Albanien oder in der Schweiz? In der Schweiz sind es pro Kopf und pro Tag mehr als acht, in Albanien vier Zigaretten. Damit gehört die Schweiz zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Tabakwaren, wir liegen vor Belgien, Deutschland, Grossbritannien, Irland, den Niederlanden, Österreich, Spanien oder eben Albanien. Ich beteilige mich nicht an der Hexenjagd gegen Raucher, jeder so wie er will. Aber mich ärgert auch in diesem Bereich die Rücksichtslosigkeit. Es wird geraucht und weggeworfen und über das Allzeit-Argument der Raucher „damit wird die AHV unterstützt“ kann ich nur lächeln. Im Gegenteil. Vom kürzeren Leben der Raucher profitieren auch die Sozialversicherungen. Die AHV muss für zehn Jahre durchschnittlich 230'000 Franken weniger bezahlen, eine Pensionskasse rund 300'000.
Das weltweite Klagen über das rhetorische Trumpeltier im Weissen Haus ist seit Wochen selbst seriösen Zeitungen immer wieder eine Headline wert. Aber diese Verschärfung ist nicht neu, auch helvetische Politiker vergreifen sich immer mehr im Ton und greifen zum verbalen Zweihänder. Der politische Gegner wird auf der persönlichen Ebene angegriffen, verhöhnt, als Charakter-lump, Abschaum, halbe Portion bezeichnet.
Legendär sind die Aussagen des damaligen SVP-Chefideologen Christoph Mörgeli, als er über den seinerzeitigen Bundesrat Samuel Schmid – notabene ein Parteikollege – sagte: „Wäre der Charakter ein lebenswichtiges Organ, man müsste Schmid künstlich am Leben erhalten.“  
Da hat also einer kräftig ausgeteilt. Faustregel; wer das tut, sollte auch einstecken können. Weit gefehlt. Dem französisch-sprechenden Bundespräsidenten Pascal Couchepin rutschte in einer Sitzung ein "Doktor Mörgele" über die Lippen. Nationalrat Christoph Mörgeli war ausser sich. 
Der Staatsfeind Nummer 1 aus Deutschland
Der einstige deutsche Finanzminister empörte sich über das Verhalten des Finanzplatzes Schweiz. Das ist sein gutes Recht. Aber als er verkündete, er könnte auch die "Kavallarie" ausreiten lassen, kam das nicht gut an. Diese Bemerkungen machten aus einem deutschen Finanzminister zeitweise sogar den Staatsfeind Nummer 1. Zumindest sah das der „Blick“ so.
Am Bodensee brannte eine alte Fabrik auf die Grundmauern nieder, auf dem Areal hatten sich viele Kleinfirmen eingenistet. Ein Schock für die Gewerbler. Und nun höhnte in den Kommentarspalten einer Online-Zeitung tatsächlich einer mit: „Oh wie tragisch.... Nur das du auf einen schlag ruiniert bist denke ich mal nicht.“ Respektloser geht’s kaum. Es wird anonym geduzt und wild spekuliert. Das persönliche Schicksal interessiert nicht.

Am Filmfest Locarno – das sich komplett überschätzt und sich in Verkennung der Realitäten unbescheiden das viertgrösste der Welt nennt – wird prinzipiell italienisch, vielleicht französisch und ganz ausnahmsweise ein kurioses Italo-Englisch gesprochen. Deutsch? Non è sicuro. Dabei ist die halbe Deutschschweizer Kulturboheme in jedem August am Lago Maggiore.
Die ganz grossen Filmstars machen längst einen Bogen ums pittoreske Locarno. Alain Delon oder Harry Belafonte waren Headliner der letzten Jahre. Da muss man schon sehr cinephil sein um diese Herren noch zu kennen.
Am viel jüngeren Filmfest Zürich tauchen hingegen Daniel Radcliffe, John Travolta, Sean Penn, Richard Gere, Hugh Jackman, Susan Sarandon, Morgan Freeman oder Oliver Stone auf. An den Filmtagen Solothurn – auch das nur nebenbei - wird jeder Film, putzig, herzig und rührend, immer mindestens zweisprachig angekündigt.

800‘000 Schweizer können kaum lesen

Die Menschen werden fauler. Das ist das Argument der Kinobranche, warum mehr und mehr Filme bei uns nicht mehr im Original, sondern synchronisiert gezeigt werden. „Rund 80% unserer Kinobesucher wünschen deutsch synchronisierte Filme, die Nachfrage nach Originalversionen zeigt magere 20%“, schreibt das Kino Aarau auf seiner eigenen Website. Vielleicht ist die Generation Action einfach nicht mehr in der Lage zu lesen. Es gibt erschreckende Hinweise. Illettrismus heisst dieses neue Phänomen. Fast 800'000 Menschen in der Schweiz sind davon betroffen. Das heisst, sie können kaum lesen oder schreiben. Dazu kommen noch 4000 bis 5000 Jugendliche, welche jedes Jahr die obligatorische Schule mit derart ungenügendem Niveau verlassen, dass ihre Chancen, in einer Berufslehre erfolgreich zu sein, stark eingeschränkt sind.

Ins Militär will auch niemand mehr. Zu streng, zu uncool. Die einstige 600’000-Mann-Truppe schrumpft. „Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten“, steht in unserer Verfassung. Denkste. 1982 waren 16 Prozent der jungen Männer militärdienstuntauglich, 1992 bereits 22 Prozent, 2002 dann 39 Prozent, 2011 41 Prozent.

Wie soll da die „beste Armee der Welt“ entstehen? Diesen Unsinn gab übrigens der SVP-Politiker Ueli Maurer von sich, als er 2009 Verteidigungsminister der Schweiz wurde und eindeutig einen Anflug von Grössenwahn gehabt haben musste.

Rettungssanitäter werden bei ihren Einsätzen angegriffen und können ihre Hilfe häufig nur noch unter Polizeischutz durchführen. Wie jämmerlich ist das denn. Die Ambulanz-fahrzeuge werden immer mehr als Spitaltaxis missbraucht, bei Schürfungen oder Nasenbluten rufen viele Menschen heute einen Rettungswagen. Das gleiche Phänomen stellt auch die Rega fest. Fussgänger, die sich im Wald verirrt haben, rufen die fliegenden Samariter. Rabiate Fussballfans knallen Leucht-petarden ins Gesicht der gegnerischen Fans, das verbale Verhöhnen reicht nicht mehr.
Über die sozialen Netzwerke wird mehr und mehr zu Verblödungsaktionen aufgerufen. Im Sommer 2012 artete eine via Facebook lancierte Party in Zürich derart aus, dass mehrere Verletzte übrig blieben. Vier Jahre vorher zerstörten eine Horde saufwütiger junger Menschen mit einem sogenannten Botellon die Blatterwiese in Zürich.

Es wird öffentlich gesoffen, gegrölt, was das Zeug hält. Und es wird emsig gestohlen. In der Schweiz wird immer mehr geklaut. Im 2011 wurden über 400'000 Diebstähle erfasst. Das sind fast 30'000 mehr als im Jahr zuvor.

Kaum wird’s warm, wird die Kleidung hemmungslos. Heute latschen selbst Büroangestellte mit Strandschuhen zur Arbeit. In ihren Flip Flops präsentieren sie uns ihre ungepflegten Fussnägel und abgeschabten Fersen. Kleider verkommen zum Accessoire, Hosenträger baumeln lässig um die Hüften. Wozu? 

Telefongespräche – auch von intimstem Inhalt – werden heute schamlos in aller Öffentlichkeit geführt. Da erfährt man als Ohrenzeuge von medizinischen Problemen, von Absagen auf Bewerbungen, man hört mit, wenn sie sich trennen oder wieder versöhnen, wir hören mit, wenn der Sitznachbar im Zug seine Kopfhörer auf volle Pulle dreht, jeder trägt heute seine Bierdose fröhlich mit sich rum, man könnte ja plötzlich Durst kriegen. Egal, wenn was aus der Büchse schwappt und jemand anders trifft. Nein, nicht bloss egal. Scheissegal. Die Scheiss-Egalitis nimmt unser Land in den Würgegriff.

Woran liegt’s? Sind wir zu klein? Zu dicht besiedelt? Sind die Ausländer schuld? Wilhelm Tell? Der Bundesrat? Die Schule, die Medien, die Eltern, die Kirche, Donald Trump, der Turnverein oder die Globalisierung? Was ist los in diesem hübschen Land zwischen Basel und Chiasso, zwischen Boden- und Genfersee?
Merkwürdig passiv verhalten sich die Schweizer Parteien, angefragt zum Thema „Schweizer Werte“. Der originelle Blog augenreiberei.ch fragte vor den eidgenössischen Wahlen 2011 alle bedeutenden Parteien um ein Statement zum Thema „Schweizer Werte“. Die Antworten waren peinlich bis schlecht.

Der Blogschreiber mailte die sieben grössten Parteien an und fragte jeweils: „Man hört in letzter Zeit in den Medien viel über die Schweizer Werte. Darum habe ich mich auf ihre Website begeben und nach einer Übersicht jener Schweizer Werte gesucht, welche die <Name der angefragten Partei> vertritt und als typische Schweizer Werte versteht (ich spreche von den Werten, nicht von den Positionen oder den Anliegen). Leider habe ich dazu aber nichts gefunden. Können Sie mir weiterhelfen? Habe ich online eine Seite übersehen und falls ja, könnten Sie mir den Link dazu schicken?“
Am schnellsten reagierte die CVP: „Wir haben keine spezielle Seite, die die Werte enthält, da diese eigentlich auf der ganzen Website zu finden sind.“
Hilft diese zwar prompte, aber inhaltsleere christlich-demokratische Antwort? Die nächste Reaktion kam von den Sozialdemokraten. „Im folgenden Link finden Sie ein Dokument mit unseren Werten und Zielen.“ Der von der SP angegebene Link hiess „Link Dokumentation für SchülerInnen“. Was sollte das denn nun? Der Link führt schliesslich zu einem 45 Seiten langen pdf-Dokument, in welchem die SP erklärt wird. Endlich, auf Seite 7, dann die Erlösung: „Frieden, Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sind die Werte, welche die SP vertritt.“
Dann reagierte jemand vom Freisinn: „Gerne verweise ich Sie auf den ersten Teil unseres Wahlkampfprogramms, dass Sie unter Link Wahlplattform herunterladen können. Alle Informationen zu unserem Wahlkampf finden Sie unter: Link Aus Liebe zur Schweiz.“ Sehr unpraktisch. Die Suche auf den Links führten den Blogger dann immerhin zu folgendem Satz: „Der Kompass der FDP. Die Liberalen ist geprägt von urliberalen Werten: Selbstbestimmung, Freiheit und Respekt.“
Etwas mehr wertvolles Fleisch am Knochen hatte die Antwort der Grünliberalen: „Wir Grünliberalen stehen für urschweizerischen Werte wie Innovation, Chanchen-gleichheit, Leistungsbereitschaft und Nachhaltigkeit.“ Die BDP brauchte am längsten mit ihrer Replik: „Wir verstehen darunter eine konstruktive Politik mit Augenmass und Vernunft, das stetige Suchen nach tragfähigen Kompromissen, das Sorgetragen zu unserem Schweizer Modell,  den Glauben daran, dass es die grosse Stärke unseres Landes ist und bleibt, unterschiedliche Interessen, Ansprüche und Kulturen zu vereinen und sich Neuem gegenüber zu öffnen, ohne dabei konservative Werte über Bord zu werfen.“ 
Gar keine Reaktion auf die Anfrage des Bloggers gab es von der SVP und den Grünen. Dieses Werte-bei-den-Parteien-nachfragen-Experiment finde ich witzig. Nur schade, dass unsere Parteien – die immerhin all diese vielen Leute stellen die uns regieren und in den Parlamenten vertreten – solche Anfrage einfach zu wenig ernst zu nehmen scheinen.

Sind wir im Entwicklungsschub des Homos Helveticus an einem Punkt angelangt, wo wir uns – egal wer „schuld“ ist – unserer Verantwortung stellen und uns zu den guten, alten Werten zurückbesinnen sollten?

Liegt es an den unheilvollen Vorbildern, die unser Land bevölkern? An gefallenen Unternehmern wie der Erb-Dynastie, an der gegroundeten Swissair und an der fast gestürzten UBS? Der Fisch stinkt bekanntlich immer vom Kopf und wer Wasser predigt, dabei Wein trinkt und noch glaubt, niemand merkt es, will uns für dumm verkaufen und muss irgendwann den Preis bezahlen. Nur; wer bezahlt eigentlich diesen Preis? Diese gefallenen Wirtschaftsgötter sind es ja nicht. In einem – für sie – schlechteren Fall, kommt ihre Geschichte vor ein Gericht, wo sie sich zappelnd und heftig verteidigen und dem System die Schuld zuschieben wollen. Wer ist denn das System? Meistens kommen diese Leute davon.

Der Swissair-Prozess ist das prominenteste Beispiel. Eine ganze Airline-Flotte blieb am Boden, Millionen an angelegten Pensionskassengeldern wurden verpulvert, hunderte Menschen verloren ihre Arbeit und schuld war –niemand? Oder auch hier wieder das System? Haben solche Ereignisse – zu dem man das Fast-Grounding der UBS zählen muss – eine tiefen-psychologische Auswirkung auf die Menschen eines Landes? Werden die Einwohner deswegen frecher, unfreundlicher, ungehobelter? Oder ist es etwas ganz anderes? Könnte es einfach Dummheit sein? Gepaart mit Arroganz?
Hoffentlich hatte Mani Matter recht. In seinem berühmt-berührenden Song „Hemmige“ glaubt er, einzig die Hemmungen bewahren den Menschen davor, den allergrössten Blödsinn anzustellen.

s'git lüt, die würden alletwäge nie 

es lied vorsinge, so win ig jitz hie 
eis singen um kei prys, nei bhüetis nei 
wil si hemmige hei 
si wäre vilicht gärn im grund gno fräch 
und dänke, das syg ires grosse päch 
und s'laschtet uf ne win e schwäre stei 
dass si hemmige hei

i weis, das macht eim heiss, verschlat eim d'stimm 

doch dünkt eim mängisch o s'syg nüt so schlimm 
s'isch glych es glück, o we mirs gar nid wei 
das mir hemmige hei


was unterscheidet d'mönsche vom schimpans 

s'isch nid die glatti hut, dr fählend schwanz* 
nid dass mir schlächter d'böim ufchöme, nei 
dass mir hemmige hei

me stell sech d'manne vor, wenns anders wär 

und s'chäm es hübsches meiteli derhär 
jitz luege mir doch höchstens chly uf d'bei 
wil mir hemmige hei

und we me gseht, was hütt dr mönschheit droht 

so gseht me würklech schwarz, nid nume rot 
und was me no cha hoffen isch alei 
dass si hemmige hei


Das war der Prolog der „Generation Respektlos“. Im nächsten und ersten Teil geht es um die These 1; Das Jammern ist des Schweizers Lust.









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Ich liebe die Comedy-Show „Willkommen Österreich“, den kanadischen Sänger Bryan Adams, den besten Eishockeyclub der Welt ZSC, den genialen Schreiber James Lee Burke, die TV-Serie „The Newsroom“, die wunderbaren Städte München, New York und Zürich, Grapefruitsaft, Buddha, Bill Clinton, Enten und saftige Wiesen. Das bin ich. Stefan Del Fabro

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