Donnerstag, 20. Mai 2021

Würdig zu altern, ist sehr schwer

«Seit einem Jahr bin ich Opa. Aber ich durfte meinen Enkel noch nie in die Arme nehmen», erzählte unlängst die Schweizer Showlegende Pepe Lienhard in einer Talksendung. Der fidele 75jährige sagte das zwar ohne Zorn, aber dennoch mit einem gewissen Bedauern.

Mehr als 85'000 Kinder kamen 2020 in der Schweiz zur Welt – ohne je vom Grossätti oder dem Grosi geschaukelt worden zu sein. Traurig für die Kleinen, wenn vermutlich auch folgenlos. Deprimierend hingegen für all die munteren Omas und Opas wie Pepe Lienhard, denen man auch diesen wichtigen sozialen Umgang untersagt.  

Kaum ernsthafte Schutzpläne

Corona treibt mit uns allen sein übles Spielchen – den Alten aber setzt die Pandemie nicht nur gesundheitlich, sondern auch gesellschaftlich am stärksten zu. Älter zu werden ist sowieso mit Gebrechen verbunden, mit Verlusten, mit Ängsten. Nun gesellen sich vertiefte Einsamkeit und zunehmende Verzweiflung hinzu. «Mein Hobby sind meine Enkel» gab so manch rüstiger Senior unlängst noch an. Diese Leidenschaft wurde politisch längst geschreddert. Auch weil niemand in der Lage scheint, die Alten endlich vernünftig zu schützen. Sie einfach wegzusperren und bei Familienbesuchen hinter Plexiglasscheiben zu verstecken, kann ja kein ernsthafter Plan sein.

Noch nie in der Nachkriegszeit war es unmöglicher anständig zu altern als jetzt. Was die Politik posaunt, ist nur noch schwer erträglicher Zynismus. Man stelle sich einmal vor, eine fremde Macht griffe an und deren Soldaten hätten es ausschliesslich auf Ü70 abgesehen. Wir würden doch sämtliche Einheiten mobilisieren, um die Senioren zu schützen. Vor den Altersheimen stünden Panzer, in den Gängen wären Bewaffnete stationiert, jeder Weisshaarige würde beim Einkauf von einem Bodyguard begleitet.

Der Begriff «würdig altern» erlebt zu Corona-Zeiten zwar ein Comeback, aber einen mit einem sehr bitteren Nachgeschmack. Kein Politiker unterlässt es, stets auf die «vulnerablen» Personen hinzuweisen, die wir «als Gesellschaft schützen müssen». Diesen warmen Worten folgten die Taten mit unnötigen Verzögerungen. So werden Senioren zwar – endlich! - geimpft und kaum ein Politiker, der sich nicht rühmt, wie schnell das gerade in seiner Stadt, seinem Kanton vonstattengehe. Vorteile für die Alten ergeben sich jedoch kaum. Das Leben in Isolation und hinter Plexiglas geht weiter.

«Ich mache auch nur meinen Job»

Eine 50jährige betreut und besucht regelmässig ihre pflegebedürftige Mutter im Heim. Sitzen die beiden Damen bei Kaffee und Kuchen im hauseigenen Bistro, werden sie regelmässig getadelt, ihre Masken gefälligst korrekt zu tragen. Wohlgemerkt: die Mutter ist geimpft, die erwachsene Tochter kommt ohne negativen Testbescheid schon gar nicht ins Heim.

Es ist niederschmetternd, wenn geimpfte Heimbewohner bei Besuchen vom eigenen Personal – «ich mache nur meinen Job» - auch noch schikaniert werden.

Apropos Heime. Zwar waren Alters- und Pflegeheime noch nie ein Hort von Glückseligkeit. Wer dort einzieht, weiss, wohin sein letzter Gang führen wird. Von den (bisher) rund 10'000 Schweizer Corona-Toten entfallen über 91% auf die Altersgruppe der Ü70. Viele davon sind in Heimen gestorben.

Dafür kann ein Heim natürlich nichts. Aber es mutet fast schon zynisch an, wie sich gewisse Häuser – notabene in Zeiten der Einschränkungen – online immer noch schillernd darstellen. Auf einer völlig zufällig ausgewählten Homepage eines Heimes steht: «…der Ausblick in die sanfte Hügellandschaft. Mit einem geschützten Wohnbereich und dem damit verbundenen Erlebnisgarten erweitern wir unser Angebot…»

«Alt werden wolle alle, aber…»

Was nützt dem Pensionär der «Erlebnisgarten», wenn ihm jegliches Erlebnis untersagt ist? Der Blick in die «sanfte Hügellandschaft» wird zum Hohn, wenn man weiss, dass kaum ein Heimbewohner je dorthin gelangt. Und wenn, dann auch nur unter mühseligster Anstrengung von Angehörigen.

Was Pepe Lienhards Enkel wohl in 70 Jahren zu erzählen hat? «Mein Opa durfte mich nicht anfassen, weil die Politik in den 20er Jahren nicht in der Lage war, die alten Leute vor einem Virus zu schützen.» Erst die Geschichte wird weisen, wie weise wir das heute gehandhabt haben. Vermutlich schauen Historiker mit einer gewissen Betrübnis zurück.

«Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein», sagte einst der deutsche Schauspieler Gustav Knuth. Dieser Satz ist aktueller denn je. Es wäre schön, wir nähmen das Altern endlich und dankbar als das an, was es ist; ein Geschenk. 

Dieser Text ist auch auf der Plattform helveticcare.ch erschienen: LINK

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