Würdig zu altern, ist sehr schwer
«Seit einem
Jahr bin ich Opa. Aber ich durfte meinen Enkel noch nie in die Arme nehmen», erzählte
unlängst die Schweizer Showlegende Pepe Lienhard in einer Talksendung. Der
fidele 75jährige sagte das zwar ohne Zorn, aber dennoch mit einem gewissen
Bedauern.
Mehr als
85'000 Kinder kamen 2020 in der Schweiz zur Welt – ohne je vom Grossätti oder
dem Grosi geschaukelt worden zu sein. Traurig für die Kleinen, wenn vermutlich
auch folgenlos. Deprimierend hingegen für all die munteren Omas und Opas wie
Pepe Lienhard, denen man auch diesen wichtigen sozialen Umgang untersagt.
Kaum
ernsthafte Schutzpläne
Corona
treibt mit uns allen sein übles Spielchen – den Alten aber setzt die Pandemie
nicht nur gesundheitlich, sondern auch gesellschaftlich am stärksten zu. Älter
zu werden ist sowieso mit Gebrechen verbunden, mit Verlusten, mit Ängsten. Nun
gesellen sich vertiefte Einsamkeit und zunehmende Verzweiflung hinzu. «Mein
Hobby sind meine Enkel» gab so manch rüstiger Senior unlängst noch an. Diese
Leidenschaft wurde politisch längst geschreddert. Auch weil niemand in der Lage
scheint, die Alten endlich vernünftig zu schützen. Sie einfach wegzusperren und
bei Familienbesuchen hinter Plexiglasscheiben zu verstecken, kann ja kein
ernsthafter Plan sein.
Noch nie in
der Nachkriegszeit war es unmöglicher anständig zu altern als jetzt. Was die
Politik posaunt, ist nur noch schwer erträglicher Zynismus. Man stelle sich
einmal vor, eine fremde Macht griffe an und deren Soldaten hätten es
ausschliesslich auf Ü70 abgesehen. Wir würden doch sämtliche Einheiten
mobilisieren, um die Senioren zu schützen. Vor den Altersheimen stünden Panzer,
in den Gängen wären Bewaffnete stationiert, jeder Weisshaarige würde beim
Einkauf von einem Bodyguard begleitet.
Der Begriff
«würdig altern» erlebt zu Corona-Zeiten zwar ein Comeback, aber einen mit einem
sehr bitteren Nachgeschmack. Kein Politiker unterlässt es, stets auf die
«vulnerablen» Personen hinzuweisen, die wir «als Gesellschaft schützen müssen».
Diesen warmen Worten folgten die Taten mit unnötigen Verzögerungen. So werden
Senioren zwar – endlich! - geimpft und kaum ein Politiker, der sich nicht
rühmt, wie schnell das gerade in seiner Stadt, seinem Kanton vonstattengehe.
Vorteile für die Alten ergeben sich jedoch kaum. Das Leben in Isolation und
hinter Plexiglas geht weiter.
«Ich
mache auch nur meinen Job»
Eine
50jährige betreut und besucht regelmässig ihre pflegebedürftige Mutter im Heim.
Sitzen die beiden Damen bei Kaffee und Kuchen im hauseigenen Bistro, werden sie
regelmässig getadelt, ihre Masken gefälligst korrekt zu tragen. Wohlgemerkt:
die Mutter ist geimpft, die erwachsene Tochter kommt ohne negativen
Testbescheid schon gar nicht ins Heim.
Es ist niederschmetternd,
wenn geimpfte Heimbewohner bei Besuchen vom eigenen Personal – «ich mache nur
meinen Job» - auch noch schikaniert werden.
Apropos
Heime. Zwar waren Alters- und Pflegeheime noch nie ein Hort von Glückseligkeit.
Wer dort einzieht, weiss, wohin sein letzter Gang führen wird. Von den (bisher)
rund 10'000 Schweizer Corona-Toten entfallen über 91% auf die Altersgruppe der
Ü70. Viele davon sind in Heimen gestorben.
Dafür kann
ein Heim natürlich nichts. Aber es mutet fast schon zynisch an, wie sich
gewisse Häuser
– notabene in Zeiten der Einschränkungen – online immer noch schillernd
darstellen. Auf einer völlig zufällig ausgewählten Homepage eines Heimes steht:
«…der Ausblick in die sanfte Hügellandschaft.
Mit einem geschützten Wohnbereich und dem damit verbundenen Erlebnisgarten
erweitern wir unser Angebot…»
«Alt werden wolle alle, aber…»
Was nützt
dem Pensionär der «Erlebnisgarten», wenn ihm jegliches Erlebnis untersagt ist?
Der Blick in die «sanfte Hügellandschaft» wird zum Hohn, wenn man weiss, dass
kaum ein Heimbewohner je dorthin gelangt. Und wenn, dann auch nur unter
mühseligster Anstrengung von Angehörigen.
Was Pepe
Lienhards Enkel wohl in 70 Jahren zu erzählen hat? «Mein Opa durfte mich nicht
anfassen, weil die Politik in den 20er Jahren nicht in der Lage war, die alten
Leute vor einem Virus zu schützen.» Erst die Geschichte wird weisen, wie weise
wir das heute gehandhabt haben. Vermutlich schauen Historiker mit einer
gewissen Betrübnis zurück.
«Alle
wollen alt werden, aber keiner will es sein», sagte einst der deutsche
Schauspieler Gustav Knuth. Dieser Satz ist aktueller denn je. Es wäre schön,
wir nähmen das Altern endlich und dankbar als das an, was es ist; ein
Geschenk.
Dieser Text ist auch auf der Plattform helveticcare.ch erschienen: LINK
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