Samstag, 29. Dezember 2018

Die geniale Serie "Handmaid's Tale": Wenn plötzlich christliche Spinner an der Macht wären

Phu. Das war mein erster Gedanke, als ich die zweite Staffel von "The Handmaid's Tale" geschafft hatte. Basierte die erste Staffel noch auf dem gleichnamigen Erfolgsbuch von Margret Atwood, ist Staffel 2 komplett neu, aber nicht minder bitter, beissend und oft genug weit über dem, was ich eigentlich ertrage. 
In den USA putschen sich fundamentalistische Christen an die Macht und gründen den Gottesfürchtigen Staat Gilead. Von den alten USA bleiben nur noch Reste wie zum Beispiel Alaska übrig, wohin sich die gestürzte US-Regierung flüchtet. In Gilead gelten neue Regeln und die sind insbesondere für Frauen schauderhaft. Lesen und schreiben ist verboten, wer es dennoch tut, verliert schnell einen Finger oder eine Hand. Doch das ist noch längst nicht das heftigste Schicksal. Hat eine Frau ganz grosses Pech, landet sie als Magd (Handmaid) in einem Herrenhaus. Das sind düstere Orte, wo die Sonne kaum und Güte oder Liebe keinen Zugang haben. Der Patriarch herrscht und züchtigt zuweilen selbst die eigene Gattin mit dem Ledergürtel. 

Rituelle Vergewaltigung 

Die Fanatiker sind an der Macht, weil die Fruchtbarkeit aus Umweltschutzgründen weltweit massiv zurückgegangen ist. In Mexiko kam das letzte Baby vor sechs Jahren zur Welt. Die drangsalierten Mägde wären in einer idealen Welt die Retterinnen der untergehenden Menschheit. In "The Handmaid's Tale" haben sie nur noch eine Funktion: Gebärmaschinen oder weniger nett, sie sind Sexsklavinnen. Es sind Frauen im besten Alter und im Gegensatz zu den meisten anderen weiblichen Wesen noch fruchtbar. Also muss jede Magd einmal monatlich ihrem Commander hinhalten und wird im Beisein der Ehefrau rituell vergewaltigt. Was die christlichen Spinner "Zeremonie" nennen und dabei - wie auch in vielen anderen Situationen - die übelsten Stellen aus der Bibel rezitieren und in ihren ganz eigenen Kontext stellen. Und ich habe immer gedacht, "Der Name der Rose" sei der schlimmste filmische Höllentrip im Namen Gottes. 
Serienmacher Bruce Miller ist clever genug und macht aus diesem schaurigen Stoff keine blutrünstige Rächerstory, sondern einen zwar schwer verdaulichen Horrortrip, den es so als Serie noch nie gegeben hat. Aber an Relevanz ist "The Handmaid's Tale" nicht zu überbieten, gerade in Zeiten von Spinnern wie Trump, Assad, Erdogan oder der AfD. 
Der Horror lauert überall. Die Mägde machen Pause.
Daneben werden Verräter gehängt.
Im Fokus steht June, die als Magd sogar das Recht auf ihren Namen verliert und nach ihrem Commander Fred Waterford benannt wird und neu Off-Fred heisst. 
In dieser Magd-Rolle brilliert Elisabeth Moss ("Mad Men"), die eine wahre Parforce-Leistung abliefert. 
Da jedes Wort falsch ausgelegt werden kann, spiegelt sich die Verzweiflung oft genug in Mimik oder Gestik. Kein Wunder, wurde Moss für diese Rolle bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit einem Golden Globe und einem Emmy. 

Das Buch von 1985 ist aktueller denn je

June's... pardon Off-Fred's Gegenspieler sind eigentlich fast alle anderen, es gibt nur wenige Figuren, die aus diesem Wahnsinn ausbrechen und somit auch mir als Zuschauer etwas Halt geben. Nick, der Bodyguard des Hauses ist zu Beginn noch etwas zwielichtig, gewinnt aber an Format und an innerer Stärke. Nick-Darsteller Max Minghella (Sohn von Oscar-Regisseur Anthony Minghella) spielt seinen Part angenehm zurückhaltend, dennoch nuanciert und sorgt mit dieser Ruhe für einige wenige Anker-Momente. Wenn ich zudem jemand aus dem Ensemble hervorheben will, dann den Commander-Darsteller Joseph Fiennes und insbesondere seine Ehefrau Serena Waterford, famos-bös bis in die Fingerspitzen dargestellt von Yvonne Strahovski. 
Es wundert nicht, hat sich Autorin Margret Atwood diesen Stoff 1985 im damals noch geteilten Berlin ausgedacht. Das Wunder ist eher, dass es so lange gedauert hat, bis daraus Serienstoff geworden ist. Es herrscht ein Stasi- oder Nazi-Klima, permanent wird gedroht, gerügt, bespitzelt, hintergangen, oft genug auch geplagt oder gefoltert, wobei die psychologischen Scherze, die die Peiniger treiben, fast noch widerlicher sind, als die körperlichen Bösartigkeiten. Und abgehackte Hände gehören da noch zu den harmloseren Folterungen...

Gott steh mir bei

Serien haben ja was Tröstliches. Irgendwann geht jede Staffel zu Ende, man sinkt satt und traurig ins Sofa zurück und winkt seinen Helden ein letztes Mal zu. Nicht so bei dieser Serie. Noch nie war ich so erleichtert, wie der letzte Abspann lief. Und Staffel 3 ist übrigens angekündigt. Gott steh mir bei. 

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