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Es werden Posts vom September, 2019 angezeigt.

Die Reise an den Stadtrand

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Die Überraschung ist perfekt. Dort, wo Zürich fast endet, dorthin, wo es kaum einen Urbanisten aus dem Kreis 3 oder 6 hinzieht – dort, fast etwas versteckt, blubbert der frohlockendste Kaffee der ganzen Stadt. Die Adresse und die PLZ locken zunächst nicht. Altwiesenstrasse? In 8051? Ach nee…da geh ich doch lieber… Aber was wäre das Leben, wenn wir nicht hie und da den Pfad verlassen? Also auf an den Stadtrand ins Coffee & Deeds. «Schön, seid Ihr da», werden wir vom Co-Chef Benjamin Bucher begrüsst. Gut anfangen tut es schon mal und toll aussehen tut es auch. In einer offenen Küche wird gewerkt, auf einer Ablage stehen Köstlichkeiten. «Alles gemacht von Leuten aus dem Quartier», klärt uns Benjamin auf. Wir staunen. Und geniessen. «Süsses Frühstück» und «Herzhaftes Frühstück». Hier wird nichts versprochen, was nicht gehalten wird. «Wir beziehen unsere Produkte aus der Region und wollen dabei natürliche und faire Produkte vorziehen. So garantieren wir bestmöglichen Genuss ohne bitte...

Yo Linden; "The Killing" - wenn das Remake sogar besser ist

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Ich finde, die Skandinavier machen die besten TV-Serien. Da können die Amis noch so produzieren und grosse Würfe raushauen. An die Qualität des europäischen Nordens kommen sie nicht ran.  Joel Kinnaman als Holder, Mireille Enos als Linden. Kongenial.  Aber es gibt natürlich Ausnahmen. Die dänische Krimiserie "Kommissarin Lund" war schon mal grosse Klasse. Absolut in der feinen Tradition. Und weil Amerikaner nicht die Schlauesten zu sein scheinen und sie es hassen, während dem Cheeseburger-essen mit Untertitel-lesen eine weitere intellektuelle Herausforderung meistern zu müssen, werden erfolgreiche Nicht-Amerikanische Produkte einfach neu verfilmt. "Ziemlich beste Freunde" war so ein Beispiel. Oder "Honig im Kopf". Es ging in die Hosen.  Nicht so bei der Neuauflage von "Lund", die in der US-Version "The Killing" heisst. Während sich die erste Staffel noch eng an das Original hält, weicht die 2. und die folgenden Staffeln ab. Die S...

Was soll das

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Herbert Grönemeyer ist wohl kürzlich das Brioche beim Frühstück im Hals stecken geblieben. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Musiker auch politisch und äussert seine Haltung auf Konzerten genauso wie in Talkshows. Doch nun fliegt ihm eine seiner Aussagen plötzlich um die Ohren. Die Heuchler kommen aus ihren Löchern gekrochen und attackieren den "Was soll das"-Sänger - der wohl ebendieses denkt. Ich auch. Grönemeyer ist 2019 mit der Tumult-Tour unterwegs. Ich habe die Konzerte in Zürich und Flensburg besucht. Bevor er "Fall der Fälle" singt, richtet der Sänger einen Appell ans Publikum. So auch kürzlich in Wien: «Ich kannte das nur vom Hörensagen, in Zeiten zu leben, die so zerbrechlich, so brüchig und so dünnes Eis sind. Und ich glaube, es muss uns klar sein, auch wenn Politiker schwächeln, das ist, glaube ich, in Österreich nicht anders als in Deutschland, dann liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat." Insbesondere das Wort ...

31 Tschernobyl-Tote

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Nein, ich bin hier nicht der Zyniker, obwohl ich diesen Titel für diesen Text wähle. 31 ist bis heute die offizielle Zahl der Todesopfer, die die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 gefordert hat. So steht es im Abspann zur TV-Serie "Chernobyl". Die fünfteilige Serie wird zu Recht gefeiert, obwohl sie eines nicht ist, nämlich spannend. Aber "Chernobyl" übertrifft alle anderen Ansprüche, die wir an eine Fernsehserie haben können. Erzählt wird die Story dieses Unglückes und dessen - missglückte - Aufarbeitung. Selbst der bei uns im Westen hochgelobte damalige UdSSR-Präsident Michael Gorbatschow sieht schlecht aus. Wobei sich der politische Firlefanz zwar wie ein böser, roter Faden durch die Serie zieht, aber nicht im Mittelpunkt steht. So ist «Chernobyl» kein weiterer Politthriller, sondern eine Dramaserie, mit drei Personen im Fokus. Waleri Legassow (Jared Harris) ist ein Wissenschaftler, der zunächst Linien- und Parteitreu ist, dem aber bald Ungereimtheiten au...

Lucien Favre - der Bessermacher

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Wäre dieses Buch ein Fussballspiel, man würde wohl sagen: "Es plätscherte so vor sich hin. Wenig Höhepunkte, gepflegtes Passspiel, zumeist Mittelfeldgeplänkel...." Lucien Favre ist der Trainer von Borussia Dortmund und obwohl der Schweizer noch nie einen grossen Titel gewinnen konnte, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch über ihn ein Buch erscheinen würde. Der Berliner Fussballjournalist Michael Jahn hat es getan. Akkurat, aber wenig spektakulär zeichnet Jahn die Stationen von Favre ab und streut stets Interviews von prominenten Wegbegleitern ein. Für mich als Schweizer ist es natürlich eine Freude, dass einige Landsleute und nicht nur berühmte Bundesliga-Fussballer zu Wort kommen. Allerdings flutscht Favre ohne grosse Widerstände durch die knapp 200 Seiten. Ex-Fifa-Schiedsrichter Urs Meier: "Ich mochte ihn immer." BVB-Sportchef Michael Zorc: "Wir pflegen eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Kommunikation." Dieter Hoeness, ex-Manager Hertha Be...

Ein Plädoyer für Tante Emma

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Ist schon praktisch, wenn im Supermarkt das Waschmittel nur zwei Metern neben den Bioäpfeln steht, wenn die Zahnpasta nur zwei Meter hinter den Yoghurts steht. Praktisch ist es schon. Aber macht Einkaufen so Spass? Okay, muss Einkaufen überhaupt Spass machen? Ja, warum nicht. Darum; geh mal wieder zu Tante Emma. Gibt es in jeder gut sortierten Stadt, an vielen Ecken und Enden. Manchmal sind es kleine Läden mit mürrischen Besitzern und wenig Auswahl. Und es gibt nur zwei Sorten Yoghurt, nur noch vier verschrumpelte Äpfel und Zahnpasta ist auch aus. Egal. Du kommst ins Gespräch. Schon beim zweiten Einkauf wirst Du begrüsst und der mürrische Besitzer zieht die Mundwinkel nach oben. Bereits beim dritten Mal entsteht ein kurzes Gespräch und wenn Du beim vierten Einkauf Dein Portemonnaie zuhause vergessen hast, kannst Du anschreiben. Der Tante Emma-Laden-Besuch muss hart erarbeitet werden. Es flutscht nicht wie im Supermarkt. Aber hier arbeiten noch Menschen, es gibt keine Scan-Robot...

Mit Herz für die Eisenbahn

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Die Schweizer fahren einfach gerne Zug und sind mit ihren 2300 Kilometern, die sie jährlich pro Kopf zurück legen, die Eisenbahn-Weltmeister. Einige dieser Kilometer werden auch in der Zürcher Museumsbahn ZMB absolviert. Ein historischer Zug, der in den Sommermonaten einmal im Monat unterwegs ist. Da ich schon lange kein Auto mehr habe, fahre auch ich oft und gerne Zug. Und da mich die Idee dieser historischen Eisenbahn fasziniert, melde ich mich und darf als «Azubi Zugbegleiter» mit. Das ist der Moment, wo Du an einem Bahnhof stehst und nur noch Bahnhof verstehst. Die ZMB-Leute nehmen mich freundlich auf - und weisen mich sogleich ein. "So überquerst Du die Gleise richtig, immer die Schutzweste tragen und willst Du mal auf die Dampflok?" Ich will und der Heizer erklärt mir das System von Über- und Unterdruck und ich verliere schnell den Über- oder Unterblick. Im Einladungsmail standen Sätze wie "unbedingt Licht in den EW1 und um C22 beim Remisieren abschalten....

Kleinst - feinst - leckerst

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Das muss die kleinste Caféküche der Welt mit dem leckersten Output sein. Der Koch lacht, wie ich meinen Kopf hineinstrecke und deutet an die Wand: «Weiter geht’s nicht.» Ich staune. Aus dieser Zwergenküche kam mein leckeres Frühstück? Und dass an den anderen Tischen? Denn die kleine Kneipe ist rappelvoll. Selbst draussen drängen ein paar Unentwegte unter Sonnenschirmen, die mehr Regentropfen denn Strahlenmeer zurückhalten müssen. Das junge Personal wuselt herum, immer im Stress, aber aufmerksam und freundlich. Viele Sonderwünsche werden möglich gemacht. Aber Rührei? Leider nein, schüttelt die junge Bedienung und ihr Pony wippt. «Aber ich frag mal den Koch, vielleicht kann er dies oder das machen.» Ich bin also nicht in einem muffigen Kellerkabuff gelandet, sondern an einem Ort, wo vieles möglich ist – und es ist frisch, originell, knusprig, gesund. So macht Frühstück Spass. Denn aus der kleinsten Caféküche der Welt kommt das leckerste Futter. Wenn Du also in Flensburg bist, ver...

Überschön

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Die Frau vor mir weint. Klammheimlich wischt sie sich die Tränen weg, ihr Mann hat sie von hinten im Arm und scheint es nicht zu bemerken. Oder kämpft selber mit den Tränen. Ist es nicht schön? Herbert Grönemeyer ist auf Tour und die Stadien weinen und wackeln. Sogar die eigens für den Anlass hingestellten Tribünen in Flensburg.  Wie er leibt und singt. Quelle: shz.de Mein erstes Grönemeyer-Konzert muss 1985 gewesen sein. Mit knapp 30 hatte der Sänger mit "4630 Bochum" grad seinen Durchbruch geschafft. Zum Glück im Glück ist Grönemeyer noch immer da, inzwischen schärfer, klarer, politischer - aber seine Konzerte sind auch lustig und famos, liebevoll und würdevoll.  Längst nimmt ein Gröni-Gig fast schon Springsteen-Ausmasse an, wie er da drei Stunden rennt und singt, wie er weint und wie er lacht, da ist er ganz Mensch. "Klasse - klasse" ruft er fröhlich und dauernd jetzt ins Publikum.  Nur Herbert Grönemeyer kann aus musikalischen Anklagen Pophits machen. ...