Dienstag, 24. Januar 2017

Hier schlägt das Herz für Afrika

Wohin steuert die traditionsreiche Afro-Pfingsten Winterthur im Jahr zwei nach dem Besitzerwechsel? Wir machen uns auf Spurensuche. Und stossen auf überraschende Erkenntnisse und kuriose Parallelen. 

Am Südhang des Brühlberges in Winterthur entstehen Terrassenhaus-Wohnungen die man sonst nur von hässlich überbauten Ferienküsten kennt. Wie übereinander gestapelte, überdimensionierte Zigarettenschachteln hängen die Terrassenhäuser abgestuft über der Schlosstalstrasse, die sich parallel zur eingezwängten und gut versteckten Töss von der Zürichstrasse nach Wülflingen schlängelt. An anderen Stellen drehen sich Kräne, wuseln Arbeiter, rattern die Maschinen, weitere Häuser entstehen, der Bus fährt hier nur im Viertelstundentakt. Das wird sich ändern müssen. Denn hierher drängen nicht nur neue Mieter, neue Menschen, sondern hier, im Schatten der Schachtelhäuser, sitzen die Kreativen, die neu den Kurs der grössten Schweizer Ethno-Party bestimmen. In dieser Ecke der Stadt hat die Marketing Manufaktur, kurz DMMAG, ihren Sitz. Die Überraschung war nicht klein, wie vor der Afro-Pfingsten 2013 mitgeteilt wurde: «Als Reaktion auf die gestiegenen Anforderungen an die Organisation ist der Verein Afro-Pfingsten eine Partnerschaft mit der Winterthurer Marketing-Manufaktur AG eingegangen.» Partnerschaft tönt gut und ist gut, denn es bedeutete, dass Gründer und Erfinder Daniel Bühler an Bord bleiben konnte – er ist zuständig für die Programmierung. Aber die Federführung ging von ihm zu einer kommerziellen Agentur. DMMAG-Chef Tom Mörker ist im Gespräch entwaffnend ehrlich. «Natürlich hatten wir vor einem Jahr die Sorge, dass uns die Liebe entzogen wird.» Das sei aber nicht geschehen.
Vielen Unkenrufen zum Trotz verkam das bunte Pfingst-Fest nach dem Einstieg der Agentur auch nicht zur gruseligen Kommerz-Party. Bestimmt rührt das daher, dass sich auch die DMMAG-Leute mit Herzblut für das Festival einsetzen. «Da kommen einem die Tränen», gesteht der Agenturchef, wenn er davon erzählt, wie er vor einem Jahr an einem Stand von einer Afrikanerin umarmt und gedrückt wurde und sie sich für sein Engagement bedankt habe. Leidenschaft, Freude oder Herzenssache sind Wörter, die Tom Mörker zu oft, zu spontan fallen lässt, als dass sie noch PR-Versatzstücke sein können. Der Mann meint es ernst. «Wir wollen keinen Bruch, wir wollen eine Weiterentwicklung» versichert er und seine Assistentin nickt. Trotzdem bleibt Mörker Geschäftsmann. «Es muss natürlich ein tragbares Businessmodell sein», sagt er, die Zukunft scheint gesichert, es gibt Pläne für eine Expansion, andere Schweizer Städte sollen für ähnliche Festivals ins Visier genommen werden, Basel oder Lausanne zum Beispiel.
Zudem zeigt ein Blick in die Geschichte, dass auch die frühere Festival-Führung mit der grossen Kehle angerichtet und immer wieder namhafte Stars verpflichtet hatte. Vor ein paar Jahren wäre Gründer Daniel Bühler sogar fast der Mega-Coup gelungen. «Wir wollten einmal Nelson Mandela einladen. Die Verhandlungen waren auf gutem Wege. Mit 100’000 Dollar wären wir dabei gewesen. Es hat sich aber niemand gefunden, der das unterstützen wollte», verriet er in einem Interview.
Eine verpasste Chance. Der ehemalige südafrikanische Präsident ist am 5. Dezember verstorben. Die Werbung für die Stadt wäre auf alle Zeit unbezahlbar gewesen, man stelle sich nur mal vor, Mandela hätte auf dem Neumarktplatz vor Tausenden gesprochen und gesagt: «Ick bin äin Winterthurer.»
Grosse Namen gehörten also auch in der Vergangenheit zum Angebot, doch die Ausgabe 2014 glänzt mit einer noch nie gesehenen Starpower. Kool and the Gang, Earth, Wind & Fire, Shaggy, Mory Kanté, Morcheeba, Steff la Cheffe. Mit diesen Musikern und ihren Songs könnte man ganze Hitparadenstunden füllen. Trotzdem runzelt Tom Mörker erstmals im Gespräch die Stirne. «Wir sind auf Kurs, jaja, aber der Ticketverkauf», er unterbricht, schaut seine Assistentin an, diese nickt erneut und er spricht weiter, «das braucht echt Nerven».

Der Spagat im neuen Polit-Klima
Eine andere Herausforderung für einen Anlass dieser Art könnte auch das sich verändernde politische Klima darstellen. Seit dem 9. Februar haben absurde SVP-Fürze Hochkonjunktur. Selbst die Idee, Firmen, die keine Ausländer beschäftigen, Steuererleichterungen zu gewähren, führen nicht zu einem Aufschrei, sondern werden relativ gleichgültig zur Kenntnis genommen. Kaum vorstellbar, was so ein Vorschlag zum Beispiel in Deutschland auslösen würde. Interessant in diesem Zusammenhang nochmals die Erinnerung an diesen SVP-Nationalrat aus Eglisau, der eine Serbin bei sich putzen liess, keine Sozialbeiträge abrechnete und hinterher sagte, er und seine Frau (ebenfalls eine SVP-Politikerin) seien der Serbin „freundschaftlich verbunden“, sie hätten der Frau „kleine Geschenke“ für deren Dienste gemacht. Dieser Mann hat nicht nur falsch gehandelt, er hätte, als Ausländer-Beschäftiger, nicht mal Anrecht auf die von seiner eigenen Partei vorgeschlagenen Steuererleichterungen.
In diesem Kontext mit den Afro-Pfingsten eine Völker- und Menschenverbindende Viertages-Party zu veranstalten, scheint einem besonderen Spagat gleich zu kommen. Doch das treibt Tom Mörker erst recht an. «Ich kann das natürlich nicht beweisen», sagt er, «aber ich glaube, wir in Winterthur haben einen viel positiveren Zugang zu Afrika als die meisten anderen Städte der Schweiz». Passend dazu auch die Anfänge der Afro-Pfingsten. Erstmals durchgeführt wurde das Festival 1990 nämlich gar nicht in Winterthur – sondern in Zürich. Doch nach nur einer Ausgabe zog die Afro-Pfingsten von der Limmat an die Eulach. Und blieb in der Stadt „mit dem positiven Zugang zu Afrika“. 

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